Achtunddreißig Wochen auf See

2. März 2023 um 21:30 Uhr UTC, POS 19°22’N 151°34‘E

Das ist schon ein unglaublich großer Ozean. Jetzt sind wir bereits so ewig unterwegs, dass wir uns gar nicht mehr erinnern können, wie es früher einmal ohne Geschaukel und unterbrochenem Schlaf war. Oder wie es war, andere Menschen zu sehen, in Geschäften einkaufen zu gehen, frische Lebensmittel zu haben. Von exotischen Wünschen wie Restaurantbesuchen oder einer Süßwasserdusche ganz abgesehen. Ihr seht schon: wir haben die Freuden des Lockdowns zur Genüge ausgekostet, wir wollen langsam ankommen.

Vor drei Tagen zog eine weitere Front durch, mit Regen, Starkwind und viereinhalb Meter See, die uns die letzten Tage begleitet hat. Wenig Schlaf also mal wieder, insgesamt kein Vergnügen, aber immerhin kommen wir voran. Die restliche Strecke bis Okinawa wird langsam absehbar.

Wahrscheinlich sind mal wieder die Tölpel schuld. Als ich Anfang der Woche zum hinteren Mast hochblickte, sah ich, dass unsere UKW-Antenne, die dort eigentlich aufrecht stehen sollte, nur noch an ihrem Kabel hängend nach unten baumelte und vom Wind hin und her geblasen wurde. Wir hatten immer abends beobachtet, wie verzweifelt die Tölpel versuchten, auf den Mast-Topps zu landen. Auf dem vorderen Mast schaffte es fast immer einer, sich hinzusetzen, aber achtern war eben die Antenne im Weg. Wir vermuten, dass ein Tölpel den Anflug nicht gut berechnet hat und vom schwankenden Mast mit der Antenne im Flug weggeschubst wurde. Dabei muss wohl die Antenne oder ihre Halterung gebrochen sein.

Jedenfalls war nun unklar, ob die Antenne auch baumelnd noch funktioniert. Hoch in den Mast kann ich bei diesem Seegang unterwegs nicht klettern, und für einen Radio-Check braucht man ein anderes Schiff in Funkreichweite, und das hatten wir bisher nur alle ein bis zwei Wochen. Also war sicherheitshalber die Konstruktion einer neuen UKW-Antenne angesagt. Nur: wie macht man das mit Bordmitteln? Mein Amateurfunkzeugnis liegt ja schon über zehn Jahre zurück, ich weiß die Grundlagen, war aber doch bei einigen Fragen unsicher. Zum Glück konnten unsere Freunde an Land weiterhelfen, die im Internet recherchierten, weitere funkbegeisterte Freunde einschalteten, und uns dann per Mail mit Bauanleitungen und Antworten auf technische Fragen versorgten.

Mit dieser Hilfe waren der Bau und die Installation dann recht einfach, und dann kam auch gleich, als hätte es nur darauf gewartet, ein Schiff vorbei, das wir anfunken konnten. Das Ergebnis: mit unserer Baumel-Antenne konnten wir erst auf drei Meilen Entfernung eine Verbindung herstellen, aber der neue Eigenbau funktioniert hervorragend. So werden wir also, wenn alles gut geht, die japanische Küstenwache per Funk verständigen können, wenn wir uns dem Ziel nähern. Denn – wie gesagt – wir wollen jetzt wirklich langsam ankommen.

Sieben Wochen auf See

23. Februar 2023 um 20:45 Uhr UTC, POS 17°56’N 164°57’E

Eine sehr abwechslungsreiche Woche liegt hinter uns. Der erste Tag war noch eine Fortsetzung des schon gewohnten Wind- und Wellenbildes: um die sechs Windstärken, achterliche See von rund drei Metern, Besegelung Fock und ausgebaumte Genua als Schmetterling. Hin- und her rollendes Schiff, alles wie gehabt.

Dann wurde der Wind immer schwächer, die See beruhigte sich, und auf einmal war sie da: die erste Flaute seit Erreichen der Passatzone. Normalerweise ist Flaute beim Segeln ja nicht so gern gesehen, man erinnert sich noch immer an den Spruch aus der SKO: ohne Fahrt machen wir keinen Meter.

Aber wir haben den Flautentag so richtig genossen. Endlich mal wieder durchs Boot laufen, ohne links und rechts blaue Flecken einzusammeln. Mal wieder schlafen, ohne quer durch die Koje gerollt zu werden. Selbst die Zwiebeln ergaben sich der Schwerkraft und blieben in ihren Kisten und Netzen (und das will etwas heißen). Wir haben die Windstille genutzt, um endlich unser Leichtwindsegel auszurollen und zu nähen. Oder vielleicht sollte man besser sagen: die verbliebenen Fetzen zusammenzunähen. Jetzt hat er zwar keine perfekte Form mehr, aber zum Auffangen des Winds von hinten reicht es allemal. Nach den ersten 72 Stunden Einsatz hat er allerdings bereits wieder einen neuen Riss im Unterliek. Die Naht von heute ist die Schwachstelle für den Riss von morgen, Sisyphus lässt grüßen.

Den Rest des Tages verbrachten wir mit baden, so richtig im tiefblauen Meer, saßen nachmittags im Cockpit, schauten der Sonne beim Untergehen zu. Ganz wie man sich Segelurlaub vorstellt. Fehlten nur noch die Schirmchen-Drinks.

Aber auch die schönste Flaute ist nicht von Dauer (zum Glück!), und so erwachten wir am nächsten Tag mit einem Regenguss fast tropischen Ausmaßes. Wir konnten gar nicht so schnell neue Kanister und Eimer unterstellen, um das kostbare Wasser aufzufangen. Nur leider landete das nicht nur in den Behältern, sondern kam auch überall ins Schiff. Bei diesem ersten ordentlichen Guss seit Mexiko sahen wir, wie sehr die Gummidichtungen in einem Jahr Hitze versprödet sind, wie sehr das Dichtmaterial der Fensterscheiben rissig geworden ist und wie sehr Holzsockel, auf denen die Luken teilweise sitzen, schon undicht geworden sind. Es tropft überall herein: im Bad, In der Messe, beim Niedergang, in der Mittelkabine, in der Ankerlast. Diesmal war es nur Süßwasser, aber bei überkommender See ist das alles andere als gut. Jetzt haben wir mit Silikon und Dichtmasse einiges zugeklebt, beim nächsten Regenguss werden wir sehen, ob es etwas genutzt hat.

Der übelste Wassereinbruch kam allerdings nicht von einer Luke, wie wir zunächst dachten. Das Wasser tropfte aus der Wand der Achterkabine zum Cockpit hin, und zwar in Massen (etwa ein Liter pro Stunde). Das heißt, erstmal fluchen. Dann Handtücher zum Auffangen, auswringen wenn vollgesogen. Abmontieren der Holzverkleidung in der Kabine, herausbrechen der Schaumstoffisolierung, um an die Stelle heranzukommen. Endlich ist klar, wo das Wasser herkommt. Der achtere Mast sitzt auf einem Stahlsockel. Der hat ein kleines Abteil, das oben offen ist, und unten ein Entwässerungsloch hat, zumindest theoretisch. Denn das ist oft zugesetzt, und wenn sich dann darin das Wasser staut, rostet der Stahl natürlich. Dazu ist das Abteil so eng, dass man mit keinem Werkzeug hineinkommt, um den Rost zu bekämpfen, sondern nur mit dem Pinsel neue Farbschichten auf den Rost streichen kann. Und da das über die Jahre oft genug passiert ist, ist die Wand zwischen diesem Abteil im Cockpit und der
Achterkabine an einer Stelle durchgerostet. Wenn es nun regnet, füllt sich das Abteil mit Wasser, das den Mast herunterrinnt, es fließt nicht oder zu langsam ab, der Wasserspiegel steigt und erreicht die durchgerostete Stelle. Tja, und dann gibt es eben Wasser in der Achterkabine. Wir haben jetzt erst einmal die Entwässerung wieder in Gang gebracht und den Bereich von innen entrostet. Aus dem Haarriss im Rost wurde nach einigen Hammerschlägen ein ordentliches Loch, durch das man schon ein paar Finger durchstecken konnte. Mit Epoxid-Spachtel haben wir nun eine Edelstahlplatte über das Loch geklebt, das hält erst einmal. Bei nächster Gelegenheit muss dann ein neues Stück Stahl eingeschweißt werden.

Ein paar Stunden nach dem Regen kam dann auch wieder Wind auf, kräftig und plötzlich mit Windstärke sieben und Böen von acht. Die See baute sich bis auf vier Meter auf, bevor wir dann wieder zu normalen Passatverhältnissen zurückkehren.

Themenwechsel zum Gemüse. Weil außer Kartoffeln, Zwiebeln und Kohl die verbliebenen Gemüsebestände mittlerweile sehr traurig dreinschauen, keimte in mir das Bedürfnis, einen Sprossengarten anzulegen. Jetzt sind ständig Mungbohnen, Linsen und Radieschen-Keimlinge am Wachsen, Rucola und Brokkoli-Samen sind schon schwieriger, aber klappen mittlerweile auch. Mit Senf, Quinoa, Amaranth tue ich mich noch schwer. All das braucht zwar einiges an wertvollem Süßwasser (aber es hat ja geregnet) und mehrmals tägliche Pflege, denn das Grünzeug will dauernd eingeweicht, gewässert, umgepflanzt und besprüht werden, aber es ist einfach schön, frisches Grün in der Pfanne, im Salat und auf dem Rührei zu haben.

Noch ein kleiner Wehmutstropfen: dem Geruch folgend, entdeckten wir unter dem Beiboot versteckt die Überreste von Admiral Hornblower. Es blieb nur, ihn standesgemäß der See zu übergeben. Er ist also doch nicht weitergeflogen, wie wir letzte Woche dachten. Oder – je nach Sichtweise – ganz weit fort.

Sechs Wochen auf See

16. Februar 2023 um 19:30 Uhr UTC, POS 18°23’N 176°34‘E

In dieser Woche gab es gleich mehrere völlig irrelevante, aber für uns bedeutende Meilensteine. Am Anfang der Woche konnten wir Bergfest feiern – die Hälfte der Strecke lag hinter uns. Mittlerweile sind von den ursprünglichen 7.421 Seemeilen nur noch 2.950 übrig.

Vorgestern wechselte unsere Position von West- auf Ostlänge. Wir haben ja seit unserer Abreise in Mexiko bereits fünfmal die Uhr eine Stunde zurückgestellt, also hatten fünf unserer Tage eine Stunde zusätzlich. Dafür mussten wir jetzt, beim Überschreiten der Datumsgrenze, einen ganzen Tag hergeben. Mittwoch, der 15. Februar taucht also bei uns im Logbuch nicht auf.

Seit sechs Wochen fahren wir nun unter Windsteuerung. Es ist immer wieder faszinierend zuzusehen, wie dieses Wunderwerk der Ingenieurskunst ganz ohne Strom die Muktuk auf Kurs hält. Hin und wieder korrigiert unsere automatische Trimm-Vorrichtung die Stellung des Hauptruders, alles andere macht die Windsteuerung alleine, Tag und Nacht. Vor allem, wenn es nachts richtig finster ist, bevor der Mond aufgeht, denken wir immer: wie gut, dass die Muktuk alleine weiß, wo sie hinfahren soll.

Neben den Segeln, dem Rigg und der Unversehrtheit des Rumpfes ist die Windsteuerung eine unserer kritischsten Komponenten. Müssten wir stattdessen den Autopiloten verwenden, würde dessen Getriebe unserer Erfahrung nach eine so lange Seestrecke nicht durchhalten (Ersatzzahnräder haben wir auch nicht in unbeschränkter Menge dabei). Und wenn andauernd einer von uns beiden Rudergehen müsste – was für ein Alptraum.

Deshalb war es erstmal ein Schreck, als letzten Samstag das Boot ständig aus dem Kurs lief. Die Ursache war schnell gefunden: das Pendelruder der Windsteuerung war abgebrochen und liegt jetzt auf 5.000 Meter Tiefe. Früher war das Pendelruder aus Holz, aber wir haben es erst 2017 in Neuseeland durch die neue Version aus Aluminium ersetzt. Und dieses ist jetzt knapp unterhalb der Halterung abgebrochen – vom Schadensbild her anscheinend ein Ermüdungsbruch. Das ist natürlich unerfreulich und sollte nach sechs Jahren mäßigen Einsatzes noch nicht passieren, andererseits ist die Konstruktion der Windsteueranlage so einfach und reparaturfreundlich, dass wir das Pendelruder ohne große Probleme durch ein Reserveblatt aus Holz ersetzen konnten.

Blöderweise kommt man allerdings an die nötige Stelle dafür von Deck aus nicht heran. Das Pendelruder montieren wir normalerweise vor Anker vom Beiboot aus, was unterwegs natürlich keine Option ist. Also musste ich mich achtern über Bord hängen, um das Ersatz-Ruderblatt einzupassen und zu montieren. Ich war dabei zwar gesichert, aber wenn von achtern die Dreimeterwellen anrollen, arbeitet man doch ständig mit einem besorgten Blick über die Schulter. Jedenfalls waren wir beide sehr erleichtert, als das Ding montiert und ich wieder wohlbehalten an Deck war. Und die Windsteuerung wieder pendelte, wie es sich gehört.

Wir überlegen schon mal, was wir an Bord zersägen können, sollten wir noch einmal ein neues Pendelruder brauchen. Andererseits: es sind ja nur noch 2.950 Seemeilen.

Mit den Tölpeln hatten wir jetzt keine so großen Probleme mehr. Manchmal streiten sie sich am Abend noch um die Rastplätze auf den Masten, aber die Solarpaneele wurden nicht mehr belagert. Dafür haben wir bereits an zwei Abenden einen Tropikvogel gesehen. Wenn ihr den googelt, werdet ihr verstehen, warum wir so begeistert davon sind. Mit ihrem langen Schwanz sehen diese Vögel aus wie eine etwas übertriebene Computer-Animation eines geflügelten Fabelwesens. Und die fliegen hier einfach so herum. Toll!

Fünf Wochen auf See

10. Februar 2023 um 18:30 Uhr UTC, POS 18°14’N 170°37‘W

Einen gesicherten Beweis für seine Existenz ist uns Hawaii schuldig geblieben. Laut Seekarte war es gerade mal 60 sm entfernt, aber wir haben es weder gesehen noch gerochen. Kein Schiff hat sich gezeigt, weder visuell noch auf dem AIS. Auch als wir versuchten, mit dem UKW-Empfänger einen hawaiianischen Rundfunksender zu empfangen, war nur Rauschen zu hören. Vergeblich versuchten wir, eine Drohnen-Lieferung frischer Karotten zu organisieren, und mit Bier soll es ja sowieso schlecht aussehen. Zwei Hinweise gab es allerdings doch, dass sich hinter dem Horizont etwas verbarg.

Zum einen erklang aus dem UKW-Funkgerät nach fast vier Wochen zum ersten Mal wieder eine menschliche Stimme. Diese behauptete, von der US-Küstenwache aus Honolulu zu stammen und informierte uns mehrmals darüber, dass diese gerade Empfangsprobleme auf UKW hätte und empfahl, nur solche Notfälle zu erleiden, die man auch telefonisch melden könne, oder während dieser Zeit auf Notfälle ganz zu verzichten. Obwohl wir ja ein Satelliten-Telefon haben, entschieden wir uns für die zweite Variante.

Das andere Indiz für die Existenz einer nahegelegenen Insel war das erhöhte Vogelaufkommen. Nicht nur waren mehr Tölpel unterwegs, sondern es flogen auch Dutzende von Seeschwalben und Sturmvögeln ums Boot herum. Vor allem bei einsetzender Dämmerung war der Himmel voller jagender Vögel.

Die Tölpel, die Muktuk als Mitreisegelegenheit nutzen, werden auch immer frecher. Mittlerweile machen sie uns sogar das Achterdeck streitig und sitzen auch gerne mal keck auf dem Großbaum. Und die Solarpaneele müssen wir auch regelmäßig schrubben. Vertreiben lassen sie sich weder durch Bewerfen mit vergammelten Zitrusfrüchten, noch durch Wegschubsen mit dem Besenstil. Sie schauen nur verdutzt, fliegen eine Runde und setzen sich wieder genau an dieselbe Stelle. Es ist zum Verzweifeln.

Eines Nachts schreckt mich ein gellender Schrei von Birgit aus der Koje. Sie steckte für den regelmäßigen Kontrollblick den Kopf aus dem Niedergang und fand sich überraschend Auge in Auge (bzw. Schnabel an Schnabel) mit einem der dunklen Vögel, der direkt neben ihr auf dem Achterdeck hockte. Tölpel sind mit einer Spannweite von 120 bis 150 cm ja recht groß. Wer von uns dreien sich am meisten erschreckt hat, können wir nicht sagen. Zumindest zwei der Beteiligten konnten zumindest hinterher herzlich darüber lachen.

Wir versuchen wenigstens das Achterschiff von Vogelkot frei zu halten, nicht nur weil der erbärmlich stinkt, sondern auch aus Sorge vor dem US-amerikanischen „Guano Islands Act“. Das ist ein Bundesgesetz, das seit 1856 US-Staatsbürger ermächtigt, weltweit Guano-Vorkommen außerhalb der Hoheitsgebiete anderer Länder für die Vereinigten Staaten in Besitz zu nehmen. Das wollen wir natürlich für die Muktuk nicht riskieren, da putzen wir lieber jeden Tag, sofern Rasmus das nicht mit ein paar überkommenden Wellen selbst übernimmt.

Von großen Vögeln nun zu einem kleinen: am Sonntag, über 250 sm entfernt von der nahegelegensten Insel, flattert doch glatt eine Brieftaube zu uns aufs Deck. Zwar ohne Brief, aber komplett mit Beringung und allem. Das kleine Kerlchen ist völlig angstfrei, lässt uns auf Handbreite an sich heran und nimmt bereitwillig Wasser und Futter an. Da der Langstreckenrekord für Brieftauben laut Wikipedia bei 1800 km liegt, hat sich unsere entweder überschätzt oder ist vom Wind verweht worden, als sie von einer Hawaii-Insel zur anderen wollte. 

Jedenfalls stolziert sie unbeirrt einmal ums ganze Boot herum und schaut prüfend alles an. Am liebsten spaziert sie auf dem Achterdeck auf und ab, die Hände auf dem Rücken verschränkt (na gut, vielleicht nicht wirklich, aber der Gesichtsausdruck passt dazu). Wir werden höchstens kurz mit einem herausfordernden Blick bedacht, wenn wir es wagen, sie bei ihrer Inspektion zu stören. Fehlt eigentlich nur noch der knurrende Befehl, dass wir hier mal besser putzen sollten und dass die Reffleine ordentlich aufgeschossen gehört. Durch ihr Benehmen hat sie sich ihren neuen Namen verdient: Admiral Hornblower. Als Übernachtungsplatz wählt sich der Admiral standesgemäß den Großbaum, an dessen Ende er/sie das Achterdeck gut im Blick behalten kann. Beim morgendlichen Kontrollflug ums Boot inspiziert Admiral Hornblower auch das Solarpaneel, auf dem drei Tölpel herumlungern, jeder fünfmal so groß wie die Taube. Was meint ihr, wer auf einmal panisch erschrocken Reißaus nimmt? W as wir
mit Wurfgeschossen und Besenstil nicht geschafft haben, erledigt Admiral Hornblower allein durch sein Auftauchen. Schade, dass wir ihn nicht als Vogelscheuche engagieren konnten – seit Dienstag ist er verschwunden. Wahrscheinlich muss er weitere Schiffe seiner Flotte inspizieren.

Vier Wochen auf See

3. Februar 2023 um 17:40 Uhr UTC, POS 17°54’N 154°43‘W

Wir fahren gerade an der großen Insel von Hawaii vorbei, unser Kurs verläuft rund 60 sm südlich davon. Ein wichtiges Etappenziel ist erreicht, aber noch liegen weit mehr als die Hälfte der Strecke vor uns.

Wir haben erfahren, dass auf Hawaii vor ein paar Tagen Meisterschaften im Wellenreiten veranstaltet wurden, weil nach Jahren endlich mal die Wellen hoch genug waren. Na vielen Dank – eigentlich wollten wir da doch gar nicht mitmachen. Obwohl wir in der Wettbewerbsklasse der zweimastigen Surfbretter sicher einen Sonderpreis als schwerster Teilnehmer bekommen hätten.

Mit unseren Tölpeln, die nach ein paar Tagen Abwesenheit wieder zurückkehrten (natürlich nicht dieselben), haben wir Freude und Ärger zugleich. Lustig war es, als gleich vier Vögel auf den Salingen (den Querstreben am Mast) Platz finden wollten, aber dort ebenso wie wir in der Koje keinen Halt fanden und sich immer wieder mit den Flügeln stabilisieren oder gar auffliegen mussten. Und wie die Sitzenden mit lautem Geschnatter die Landewilligen schon im Anflug vertrieben. Vor allem aber, wie sie bei heftigeren Schaukelbewegungen auf der Saling Schlitten fuhren, also seitlich hin und her rutschten. Abendunterhaltung vom Feinsten.

Eines Nachts fiel ein Tölpel bei einem Segelmanöver vor Schreck glatt von der Saling und purzelte benommen und vom Licht geblendet aufs Deck direkt neben mich. Er schaute mich kurz an und stürzte sich dann verzweifelt über die Reling ins Wasser, um seinem schlechten Traum zu entkommen.

Ärger haben wir mit den Tölpeln, weil sie auch die Solarpaneele als Ruheplätze entdeckt haben und diese mit ihrem Kot so zupflastern, dass sie nicht mehr laden. Vom Vogeldreck auf Achterdeck, Gasflasche, Angelrolle und Großsegel ganz zu schweigen. Zu unseren – anscheinend wirkungslosen – Abweiseleinen haben wir jetzt noch flatternde Fetzen von Plastiktüten über den Paneelen angebaut. Mal sehen ob die wirken und gleichzeitig nicht zu viel Schatten auf die Paneele werfen. Sowohl das Putzen als auch das Basteln an den Solarpaneelen ist unterwegs eine ziemliche Herausforderung, denn dazu muss ich (natürlich angeleint) auf dem schwankenden Großbaum stehend balancieren. Die Vögel loten also die Grenzen unserer Tierliebe aus. Anderseits ist das natürlich auch ein gutes Training für den nächsten Wettbewerb im Wellenreiten. Wenn mal wieder die Wellen hoch genug sind.

Drei Wochen auf See

27. Januar 2023 um 16:30 Uhr UTC, POS 18°19’N 141°17‘W

Passat. Definitiv sind wir jetzt dort, wo relativ beständige Ost- bis Nordostwinde wehen, die uns Tag für Tag Richtung Japan schieben. Üblicherweise stellt man sich das Passatsegeln mit 4-5 Windstärken, gemütlichem Schaukeln, weiß-blauem, fast schon bayerischen Himmel und spektakulären Sonnenuntergängen vor.

Wir haben zunächst die etwas unfreundlichere Wintervariante des Passats abbekommen. Statt Windstärke 4-5 gab es 6-7, mehr als stark gereffte Segel konnten wir nicht setzen. Statt gemütlichem Schaukeln schüttelten uns Wellen mit gut 3 Metern Höhe durch, statt Biergartenwetter gab es eine tiefliegend graue Wolkendecke mit Sprühregen und gelegentlichen Schauern, mit Vorliebe bei Segelmanövern oder wenn gerade ein Fisch an der Angel war. Leider waren die Schauer aber immer zu kurz, um unsere Süßwasservorräte aufzufüllen. Bis die Salzkruste vom Dach gespült war, die sich von der überkommenden See und der Gischt dort abgesetzt hatte, war der Schauer schon wieder vorbei. Schade, wir hätten gerne ein paar Liter extra für Handwäsche oder zum Bodenwischen gehabt.

Unsere Etmale diese Woche betrugen 130, 133, 126, 141, 126, 99 und 86 Seemeilen. Ihr seht also, was passiert ist: am Ende der Woche ließ der Wind nach, jetzt haben wir nur noch 3-4 Windstärken und tatsächlich auch mehr Sonnenstunden. Nur bleibt uns die Welle von vorher noch eine ganze Weile erhalten, und so schaukelt es immer noch recht wild. Unser Vorankommen messen wir nicht nur in Knoten, also Seemeilen pro Stunde (Bewegung durchs Wasser), sondern auch in BFMs, Blaue Flecken pro Meter (Bewegung durchs Schiff).

Bei dem nachlassenden Wind ist auch unser Leichtwindsegel wieder mehr gefragt. Leider hat sich unsere Befürchtung bewahrheitet und die Risse entlang der Lieken werden immer größer, so dass wir das Segel nach ein paar Stunden schon wieder bergen mussten und eine erneute Reparatur in Angriff nehmen werden. Gar nicht so einfach, so ein Riesensegel auf fast 25 Metern Lieklänge zu verstärken, und das mit einer kleinen Nähmaschine und ohne Platz, um das Segel ausbreiten zu können. Aber ohne Leichtwindsegel könnten wir für unsere Strecke locker eine Woche länger brauchen, also sind wir stark motiviert.

An der Gemüsefront hat sich nicht viel getan. Der letzte Salat hat uns verlassen, die letzten Avocados haben erst das Zeitliche, dann das Räumliche gesegnet (d.h. sie sind über Bord gegangen), und mit dem Kohl mussten wir ein ernstes Wörtchen reden und seine vergammelten Außenblätter den Fischen überlassen. Frisches Obst fürs Müsli ist jetzt auch vorbei, die letzte Ananas wird heute aufgegessen. Die Zitrusfrüchte sind noch immer gerne unterwegs, oft tummeln sich die Grapefruits bei den Zwiebeln, und eine haben wir sogar bei den Kartoffeln erwischt. Wir hoffen, sie stellen in der dunklen Ecke nichts Ungehöriges an, denn wir wüssten nicht, wie wir kleine Grapetoffeln zubereiten sollten.

Den malerischsten Ausflug hat aber die Pfeffermühle unternommen. Natürlich machte sie sich frisch gefüllt auf die Reise und kehrte leer zurück. Muktuk wird wohl noch für eine ganze Weile ein großes Kugellager bleiben.

Zwei Wochen auf See

20. Januar 2023 um 16 Uhr UTC, POS 18°19’N 126°59’W

Lange hat es gedauert, bis wir aus der Schwachwindzone herausgekommen sind. Erst am elften Tag haben wir einen Zipfel vom Wind erwischt, aber auch dann nur tagsüber, während in der Nacht wieder die Segel schlugen. Jetzt aber – seit zwei Tagen – sind wir im Passat. Gestern war unser Etmal dann endlich bei 117 sm, heute werden es über 120, wir kommen also voran. Allerdings herrscht hier gerade eine unregelmäßige und unangenehme Kreuzsee von drei Metern Höhe, so dass wir nachts in der Koje hin und her geworfen werden und keinen Schlaf finden. Irgendwie kann Rasmus es uns zurzeit nicht recht machen: mal zu wenig, mal zu viel … was denn nun?

Drei Tage lang hatten wir Besuch von Tölpeln. Erst einer, der sich am Bugkorb ausruhte, dann kam ein weiterer hinzu, und am Ende waren es gleich drei, die sich nach einigem, teils etwas unwilligem Beiseiterücken den Platz auf dem Bugkorb teilten. Tagsüber flogen sie ihre Kreise um die Muktuk herum auf der Jagd nach Fliegenden Fischen, die von unserer Bugwelle aufgescheucht wurden, nachts kuschelten sie sich wieder mit den Schnäbeln im Gefieder versteckt auf ihren Schlafplatz und ließen sich – wenn auch eher langsam – nach Westen segeln. Selbst die schlagenden Segel konnten sie nicht vertreiben.

 Einer der drei hat sich schließlich ein besonderes Plätzchen ausgesucht und sich auf der Nock des an Steuerbord ausgebrachten Spinnackerbaums niedergelassen. Dort hatte er tagsüber den besseren Überblick und nachts war er weiter weg vom schlagenden Segel. Das hat den anderen beiden natürlich auch gefallen, und sie versuchten sich dazuzusetzen. Es gab dort aber nur Platz für einen, und der Entdecker verteidigte seinen Revieranspruch mit lautem Geschnatter, wenn die anderen im Anflug waren. Als es dann im Passat mit 6-7 Windstärken zu blasen begann, sind die Tölpel aber doch auf eigene Faust weitergereist.

Ansonsten gibt es nicht viel zu berichten. An unserem Leichtwindsegel (Code Zero) haben wir bei Tagesanbruch entdeckt, dass das Achterliek einen 2,80 Meter langen Riss hatte. Das Segel ist rundherum etwa handbreit verstärkt, und genau am Rand dieser Verstärkung ist das eigentliche Segeltuch dann gerissen. Wir haben jetzt zwar einen Flicken draufgenäht, aber diese „Sollbruchstelle“ ist über der ganzen Länge von Achter- und Unterliek bereits geschwächt, so dass es bald auch an anderer Stelle reißen wird.

Unsere 10 kg Möhren haben kollektiv den Dienst verweigert, sie sind schon nach weniger als zwei Wochen schwarz verschimmelt. Schade, denn die Probecharge, die wir zuvor vom selben Lieferanten gekauft hatten, hat lange gehalten. Noch kann man sie zwar essen, denn der schwarze Belag lässt sich abschälen, aber trotzdem müssen die restlichen Möhren jetzt dicht an dicht in Plastiktüten gedrängt im dunklen kalten Kühlschrank hausen -selber schuld. Die dort schon länger lebenden Radieschen maulen, weil sie nun weniger Platz haben. Von den Gurken, Paprika, Auberginen und Kartoffeln gibt es hingegen nur Gutes zu berichten, sie dürfen sich weiterhin in der Mittelkabine frei bewegen. Die Zitrusfrüchte waren sogar so übermütig, dass sie samt ihrer Kiste von der Koje sprangen und umherkugelnd das Schiff erkundeten. Da haben wir mit unserem nächtlichen Rollen in der Koje wohl ein schlechtes Beispiel gegeben.

Kartenfund

Ich habe mir schon immer gern vorgestellt, was man sähe, wenn die Meeresoberfläche eine Art Glasscheibe wäre, durch die man bis zum Grund hindurchsehen könnte. In Küstennähe könnte man die Untiefen erkennen, sehen, wo man am besten Ankern kann, wunderbar angeln, weil man alle Fische sieht usw.

Ganz spannend wäre es aber auf hoher See, wo man wie im Flugzeug ein paar tausend Meter tief herabsehen und die unterseeische Landschaft bewundern könnte. Hier im Nordpazifik hätte man ein ganz besonderes Schauspiel, denn in der Nähe der Kontinentalplattengrenzen gibt es unzählige sogenannte Tiefseeberge (englisch: seamounts), meist erloschene Vulkankegel, die vom Meeresgrund aus oft tausend oder mehr Metern in die Höhe ragen. Würden sie es bis über die Wasseroberfläche schaffen, würden wir sie Inseln nennen. Aber die Gipfel der Tiefseeberge bleiben eben unter Wasser. Es sind so viele, dass Schätzungen zufolge nur etwa zwei Drittel von ihnen bisher kartografiert sind. Immer mal wieder rammt ein Fahrzeug (zugegebenermaßen meist ein U-Boot) ein bisher unentdecktes Exemplar. Wenn es Glück hat, wird der Tiefseeberg dann nach ihm benannt.

Wie bei Straßennamen in Neubausiedlungen bekommen manchmal einige benachbarte Tiefseeberge zusammengehörige Namen. Nördlich von Hawaii etwa lebt die Gebirgskette der fünfundsechzig „Musicians Seamounts“, alle benannt nach berühmten Komponisten. Von Rossini bis Wagner, von Verdi bis Chopin – jeder hat hier seinen eigenen Berg. Bach bekam natürlich gleich einen ganzen Gebirgszug, und Mendelssohn gleich zwei Tiefseeberge, passend East Mendelssohn und West Mendelssohn genannt.

Aber jetzt zum Anlass dieser Bemerkungen: als ich bei der Routenplanung die Seekarte studierte, fand ich gerade mal hundert Seemeilen südlich von dem Gebiet, das wir gerade durchfahren haben, eine weitere Gruppe. Zu meinem großen Entzücken heißt diese „Mathematicians Seamounts“ und besteht aus neun Tiefseebergen, alle nach verdienten Mathematikern (na gut: auch Physikern) benannt. Da finden sich der Euclid Seamount (Begründer der Arithmetik, Geometrie und Axiomatik), Lagrange Seamount (Gruppen- und Zahlentheorie, Analysis und Himmelsmechanik), Laplace Seamount (Wahrscheinlichkeitsrechnung, Differentialgleichungen), Newton Seamount (Begründer der modernen Physik, Erfinder der Infinitesimalrechnung), Bernoulli Seamount (Strömungsdynamik), Riemann Seamount (Analysis, Differentialgeometrie, Zahlentheorie), Cantor Seamount (Mengenlehre, Erforscher der Unendlichkeit), Lobachevskij Seamount (nichteuklidische Geometrie) und Napier Seamount (Erfinder der Logarithmen).

Während es die „Musician Seamounts“ immerhin ins englischsprachige Wikipedia geschafft haben, sind die Mathematiker-Gebirge dort völlig unbekannt. Viele Teilgebiete der Mathematik und viele verdiente Mathematiker bleiben hier auch unberücksichtigt. Wo bleiben Algebra oder Topologie? Was ist mit Euler, Gauß oder Jacobi? Sind den Namensgebern etwa die Tiefseeberge ausgegangen? Oder gibt es in Wirklichkeit viel mehr Mathematiker unter Wasser, aber aus Gründen der Übersichtlichkeit verzeichnet meine Seekarte (INT 51) nur einige davon – schließlich muss ja noch Platz bleiben für Tiefenangaben und anderen nautischen Kram?

Aber wir stellen uns natürlich schon die Frage: wer ist für die Benennung der Tiefseeberge eigentlich zuständig? Die befinden sich ja üblicherweise außerhalb der Hoheitsgewässer. Gibt es ein „Internationales Komitee zur Benennung der Tiefseeberge“ als Teil der UNO? Wenn ja, wie kann man da Mitglied werden? Oder fallen die Namen in die Zuständigkeit des Deutschen Alpenvereins, Abteilung Tiefsee, Sektion Nordpazifik?

Viele spannende Fragen bleiben also unbeantwortet, bis wir wieder Internet haben. Bis dahin drücken wir die Daumen, keinem unentdeckten Tiefseeberg zu begegnen, der es bis auf drei Meter fünfzig fast zur Insel geschafft hätte. Auch wenn wir ihn dann vielleicht Muktuk Seamount nennen dürften…

Eine Woche auf See

13. Januar 2023 um 15 Uhr UTC, POS 20°15’N 116°26’W

Die erste und die letzte Woche einer Überfahrt sind die schwierigsten. So haben wir es vor vielen Jahren von den Vorbesitzern unserer Muktuk gelernt, zu einer Zeit, als wir uns gar nicht vorstellen konnten, länger als zwei Wochen am Stück unterwegs zu sein. Aber es ist schon etwas dran: in der ersten Woche muss man sich an das Geschaukel und den Wachrhythmus gewöhnen, Reste von Seekrankheit verdauen, schläft noch nicht gut bei den vielen Geräuschen und Bewegungen.

Dazu kommt der krasse Wechsel vom Stress der letzten Tage vor der Abreise mit ihren Einkäufen, Erledigungen, letzten Rechnungen (zweieinhalb Monate kein Internet!), Behördenkram, Ausklarieren… Und auf einmal: nichts mehr. Außer Bordroutine. Drei Mahlzeiten, kochen, spülen, ein paar Segelmanöver und regelmäßige Wartungsarbeiten am Schiff, gelegentliche kleine Reparaturen – kaum ein volles Tagesprogramm. Viel Zeit fürs Nachdenken, Lesen, Podcasts hören, Japanisch lernen. Auch daran muss man sich erst einmal gewöhnen.

Auf die im Schnitt geplanten 100 Seemeilen am Tag sind wir bisher nicht ganz gekommen. Zu oft ist nicht genug Wind für eine zügige Fahrt, aber wir sind ja auch noch nicht auf unserer Zielreisehöhe von 18° Nord, es kann also noch besser werden. Bisher hatten wir sehr kleinräumige Wechsel zwischen kräftigem Wind mit gutem Vorankommen und Flaute mit flappenden Segeln, bei denen die Muktuk von der (natürlich noch gebliebenen Welle) mit Wucht von einer auf die andere Seite geworfen wird. Segeln ohne Wind hat sich aus gutem Grund nicht durchgesetzt. Für die kommenden Tage sieht die Prognose auch nur wenig Wind vor. Wir hoffen auf den Passat mit mehr Konstanz, aber müssen erst einmal dahin kommen.

Die Temperaturen sind angenehm, tagsüber warm für kurze Hosen, nachts kühl genug für Langärmliges. Das Badewasser hat sich von 19 Grad bei Abreise schon auf 22 Grad erwärmt. Wir kommen eben doch langsam nach Süden.

Und warum die letzte Woche einer Überfahrt schwierig sein soll? Da ist man dann ungeduldig und will endlich ankommen. Aber so weit sind wir noch lange nicht.

Zu neuen Ufern

Über ein Jahr waren wir in der Sea of Cortez unterwegs. Zwar mit Unterbrechungen, aber wir haben doch etliche Buchten und Ankerplätze kennen und lieben gelernt, haben unsere Lieblingsecken und die besten Fischgründe gefunden, herrliche Strände und Aussichtsberge entdeckt.

Als aber im Oktober klar wurde, dass Japan nach jahrelanger Corona-Schließung seine Grenzen für Individualtouristen und damit auch für Segler öffnet, begannen wir sofort, Reisepläne zu machen. Jetzt sind wir so weit, uns auf die lange Seereise zu machen.

Wasser, Propan und Dieseltanks sind gefüllt, Säcke von Kartoffeln, Möhren, Zwiebeln, Orangen, Kohl (also allem Haltbaren) sind gestaut, anderes Obst und Gemüse für die ersten Wochen, zig Gläser mit Gulasch, Sugo und Gemüse sind eingemacht, genug Klopapier und Küchenrolle für drei Monate … Die Stauliste ist jedenfalls lang. Wenn wir etwas vergessen haben, gibt es unterwegs keinen Supermarkt. Nur die Fischgeschäfte haben mitten im Pazifik durchgehend geöffnet.

Wir haben vor, von La Paz aus erst einmal auf etwa 18° nördliche Breite zu segeln, und diesem Breitengrad ständig Richtung Westen zu folgen. Erst kurz vor Japan wollen wir rechts abbiegen, um in Okinawa Landfall zu machen. Das ist zwar nicht die kürzeste Strecke, aber dort erwarten wir beständige Passatwinde, angenehme Temperaturen und den Äquatorialstrom, der uns mit einem halben Knoten zusätzlich nach Westen schieben sollte.

Wir werden zwar nahe an Hawaii vorbeikommen, aber wir planen nicht, dort anzuhalten. Zwar wäre es sicher nett, nach ein paar Wochen frisches Obst und Gemüse zu bekommen, doch es würde uns nicht nur Zeit kosten, sondern auch aus dem Wach-Rhythmus bringen, der sich nach der ersten Woche auf See einstellt. Zur Not könnten wir allerdings Hawaii anlaufen, etwa wenn wir einen schwerwiegenden Schaden am Boot hätten, der mit Bordmitteln nicht repariert werden kann.

Wenn aber alles nach Plan läuft, wird die Fahrt nach Japan die längste Seestrecke unserer Reise werden. Über 7.300 Seemeilen (das sind 13.500 km) ohne Landkontakt. Wir kalkulieren auf Langstrecke mit 100 sm/Tag, rechnen also mit einer Reisedauer von gut zehn Wochen. Achtmal werden wir die Bordzeit um eine Stunde vorstellen, und wegen Überschreitung der Datumsgrenze einen Tag im Logbuch auslassen. Viel Schiffsverkehr erwarten wir auf der Strecke nicht, denn die Großschifffahrt folgt natürlich der bedeutend kürzeren Großkreis-Route.

Wenn gerade kein Schiff in der Nähe ist, dürften die uns nächstliegenden Mitmenschen häufig die Astronauten auf der Internationalen Raumstation ISS sein, denn die fliegt alle paar Tage in einer Höhe von 216 Seemeilen über uns hinweg. Mit ihnen teilen wir die Abgeschiedenheit; wie sie sind wir unterwegs auf uns selbst gestellt. Obwohl wir sicher mehr Zwiebeln dabeihaben als die armen Astronauten. Wir haben ja auch mehr Zeit zu kochen.

Wir werden versuchen, über Satelliten-Email etwa jede Woche eine kurze Nachricht auf unseren Blog zu stellen, zwar ohne Bilder, aber mit einem kleinen Lagebericht. Hoffentlich klappt’s mit der Technik. Und wir freuen uns immer über Nachrichten von Freunden, Familie und allen anderen, die unseren Blog lesen. Bitte schreibt uns an iridium(at)muktuk.de, damit wir nicht vergessen, dass es da draußen irgendwo noch eine Welt gibt.