Fünf Wochen auf See

10. Februar 2023 um 18:30 Uhr UTC, POS 18°14’N 170°37‘W

Einen gesicherten Beweis für seine Existenz ist uns Hawaii schuldig geblieben. Laut Seekarte war es gerade mal 60 sm entfernt, aber wir haben es weder gesehen noch gerochen. Kein Schiff hat sich gezeigt, weder visuell noch auf dem AIS. Auch als wir versuchten, mit dem UKW-Empfänger einen hawaiianischen Rundfunksender zu empfangen, war nur Rauschen zu hören. Vergeblich versuchten wir, eine Drohnen-Lieferung frischer Karotten zu organisieren, und mit Bier soll es ja sowieso schlecht aussehen. Zwei Hinweise gab es allerdings doch, dass sich hinter dem Horizont etwas verbarg.

Zum einen erklang aus dem UKW-Funkgerät nach fast vier Wochen zum ersten Mal wieder eine menschliche Stimme. Diese behauptete, von der US-Küstenwache aus Honolulu zu stammen und informierte uns mehrmals darüber, dass diese gerade Empfangsprobleme auf UKW hätte und empfahl, nur solche Notfälle zu erleiden, die man auch telefonisch melden könne, oder während dieser Zeit auf Notfälle ganz zu verzichten. Obwohl wir ja ein Satelliten-Telefon haben, entschieden wir uns für die zweite Variante.

Das andere Indiz für die Existenz einer nahegelegenen Insel war das erhöhte Vogelaufkommen. Nicht nur waren mehr Tölpel unterwegs, sondern es flogen auch Dutzende von Seeschwalben und Sturmvögeln ums Boot herum. Vor allem bei einsetzender Dämmerung war der Himmel voller jagender Vögel.

Die Tölpel, die Muktuk als Mitreisegelegenheit nutzen, werden auch immer frecher. Mittlerweile machen sie uns sogar das Achterdeck streitig und sitzen auch gerne mal keck auf dem Großbaum. Und die Solarpaneele müssen wir auch regelmäßig schrubben. Vertreiben lassen sie sich weder durch Bewerfen mit vergammelten Zitrusfrüchten, noch durch Wegschubsen mit dem Besenstil. Sie schauen nur verdutzt, fliegen eine Runde und setzen sich wieder genau an dieselbe Stelle. Es ist zum Verzweifeln.

Eines Nachts schreckt mich ein gellender Schrei von Birgit aus der Koje. Sie steckte für den regelmäßigen Kontrollblick den Kopf aus dem Niedergang und fand sich überraschend Auge in Auge (bzw. Schnabel an Schnabel) mit einem der dunklen Vögel, der direkt neben ihr auf dem Achterdeck hockte. Tölpel sind mit einer Spannweite von 120 bis 150 cm ja recht groß. Wer von uns dreien sich am meisten erschreckt hat, können wir nicht sagen. Zumindest zwei der Beteiligten konnten zumindest hinterher herzlich darüber lachen.

Wir versuchen wenigstens das Achterschiff von Vogelkot frei zu halten, nicht nur weil der erbärmlich stinkt, sondern auch aus Sorge vor dem US-amerikanischen „Guano Islands Act“. Das ist ein Bundesgesetz, das seit 1856 US-Staatsbürger ermächtigt, weltweit Guano-Vorkommen außerhalb der Hoheitsgebiete anderer Länder für die Vereinigten Staaten in Besitz zu nehmen. Das wollen wir natürlich für die Muktuk nicht riskieren, da putzen wir lieber jeden Tag, sofern Rasmus das nicht mit ein paar überkommenden Wellen selbst übernimmt.

Von großen Vögeln nun zu einem kleinen: am Sonntag, über 250 sm entfernt von der nahegelegensten Insel, flattert doch glatt eine Brieftaube zu uns aufs Deck. Zwar ohne Brief, aber komplett mit Beringung und allem. Das kleine Kerlchen ist völlig angstfrei, lässt uns auf Handbreite an sich heran und nimmt bereitwillig Wasser und Futter an. Da der Langstreckenrekord für Brieftauben laut Wikipedia bei 1800 km liegt, hat sich unsere entweder überschätzt oder ist vom Wind verweht worden, als sie von einer Hawaii-Insel zur anderen wollte. 

Jedenfalls stolziert sie unbeirrt einmal ums ganze Boot herum und schaut prüfend alles an. Am liebsten spaziert sie auf dem Achterdeck auf und ab, die Hände auf dem Rücken verschränkt (na gut, vielleicht nicht wirklich, aber der Gesichtsausdruck passt dazu). Wir werden höchstens kurz mit einem herausfordernden Blick bedacht, wenn wir es wagen, sie bei ihrer Inspektion zu stören. Fehlt eigentlich nur noch der knurrende Befehl, dass wir hier mal besser putzen sollten und dass die Reffleine ordentlich aufgeschossen gehört. Durch ihr Benehmen hat sie sich ihren neuen Namen verdient: Admiral Hornblower. Als Übernachtungsplatz wählt sich der Admiral standesgemäß den Großbaum, an dessen Ende er/sie das Achterdeck gut im Blick behalten kann. Beim morgendlichen Kontrollflug ums Boot inspiziert Admiral Hornblower auch das Solarpaneel, auf dem drei Tölpel herumlungern, jeder fünfmal so groß wie die Taube. Was meint ihr, wer auf einmal panisch erschrocken Reißaus nimmt? W as wir
mit Wurfgeschossen und Besenstil nicht geschafft haben, erledigt Admiral Hornblower allein durch sein Auftauchen. Schade, dass wir ihn nicht als Vogelscheuche engagieren konnten – seit Dienstag ist er verschwunden. Wahrscheinlich muss er weitere Schiffe seiner Flotte inspizieren.