Geflügel

Während die Tiere an Land wegen der Trockenheit ums Überleben kämpfen, scheinen die Seevögel hier üppig mit allem Nötigen ausgestattet zu sein. Jedenfalls sind Artenvielfalt und die Anzahl der Tiere enorm.




Am auffallendsten sind die Pelikane. Was der Nordseeküste ihre Möwen, sind hierzulande die Pelikane – allgegenwärtig und schön anzusehen. Außer man hat den Fotoapparat gezückt, dann kommen natürlich stundenlang keine. Im Gegensatz zu Möwen sind sie überdies leise und nicht ständig am Schimpfen und Zetern.

Sie haben zwei typische Formen der Fortbewegung. Im Streckenflug bilden sie oft Formationen von bis zu einem Dutzend Vögeln, die so dicht über die Wasseroberfläche gleiten, dass ihr Bauchfell bestimmt kitzeln muss (Bauchfell? Na ja, die Federn unten eben). Schön, das machen Sturmvögel auch, und sogar bei mehr Wind und Welle, aber wenn diese großen, doch eher klobigen Pelikane so präzise manövrieren, sieht das schon haarsträubend aus. Etwa so, als hätte James Bond bei der Verfolgungsjagd durch die verwinkelte Altstadt von Nizza seinen Aston Martin gegen einem Linienbus der Stadtwerke Fulda eingetauscht.


Das andere Flugverhalten der Pelikane ist der Sturzflug, wenn sie bei der Jagd auf Sardinen oder andere kleine Fische scharenweise senkrecht ins Wasser schießen und erst im letzten Augenblick ihre Flügel anlegen. Da ihre Beute sich meist in recht flachem Wasser aufhält, wundern wir uns, ob die Pelikane immer die Wassertiefe richtig einschätzen. Ein Fehler, und der Vogel würde mit dem Schnabel im Sand steckenbleiben. Aber sie scheinen doch eine Menge Übung zu haben, in der Literatur findet man wenig über Pelikanriffe.



Möwen gibt es natürlich auch (von ähnlich zänkischem Charakter wie ihre Artgenossen an der Nordsee), dazu Kormorane, Reiher und Blaufußtölpel. Am Ufer spazieren Strandläufer und Austernfischer, hoch am Himmel ziehen die Fregattvögel ihre Kreise. Weil sie selber nicht vom Wasser starten können, jagen sie anderen Vögeln ihre Beute ab – immer ein spannendes Spektakel.

Unsere Lieblinge sind allerdings recht kleine, schwarz-weiß gefärbte Vögelchen, deren Namen wir leider (noch) nicht kennen. Vom Aussehen und Verhalten ähneln sie den Tauchsturmvögeln oder Krabbentauchern, die aber hier nicht vorkommen (die einen gibt’s nur auf der Südhalbkugel, die anderen nur im Atlantik). Jedenfalls sitzen die kleinen Kerlchen zu mehreren Dutzenden eng zusammen wie ein Teppich auf der Wasseroberfläche. Wenn man eine Weile hinschaut, macht es schwupp! Und der erste ist weg. Und gleich schwupp! der zweite. Schwupp! schwupp! schwupp! und ehe man sich’s versieht, ist der ganze Teppich komplett verschwunden. Die Wasseroberfläche ist leer! Erst trauen wir unseren Augen nicht – war es eine Sinnestäuschung? Da waren doch gerade noch massenweise Vögel? Eine halbe Minute passiert erst einmal nichts. Oder eine ganze. Da taucht plötzlich, an einer ganz anderen Stelle auf dem Wasser, vielleicht hundert Meter weiter, schwupp! ein Vögelchen auf. Schwupp! ein zweites, und schwupp! schwupp! schwupp! ist der ganze Teppich wieder da, als wäre nichts geschehen.

Von fliegenden Teppichen hört man ja öfter. Aber tauchende Teppiche sind doch etwas ganz Besonderes.

Loreto

„From the sea the town was buried in a grove of palms and greenery. We dropped anchor and searched the shore with our glasses. A line of canoes lay on the beach and a group of men sat on the sand by the canoes and watched us; comfortable, lazy-looking men in white clothes. When our anchor dropped they got up and made for the town. Of course, they had to find their uniforms, and since Loreto was not very often visited and since the Governor had not recently been there, this may not have been so easy. There may have been some scurrying of errand-bound children from house to house, looking for tunics or belts or borrowing clean shirts. Señor the official had to shave and scent himself and dress. It all takes time, and the boat in the harbor will wait. It didn’t look like much of a boat anyway, but at least it was a boat.
One fine thing about Mexican officials is that they greet a fishing boat with the same serious ceremony they would afford the Queen Mary, and the Queen Mary would have to wait just as long. This made us feel very good and not rebellious about the port fees – absent in this case! We came to them and they made us feel, not like stodgy people in a purse-seiner but like ambassadors from Ultra-Marina bringing letters of greeting out of the distances.”
(John Steinbeck: The Log from the Sea of Cortez. Penguin books, 1986. Seite 204f)

„Von See aus gesehen lag die Stadt inmitten eines Palmenhains im Grün verborgen. Wir gingen vor Anker und suchten das Ufer mit dem Fernglas ab. Eine Reihe Kanus lag am Strand, neben ihnen saß eine Gruppe von Männern im Sand und sah uns zu, gemütliche, träge aussehende, weiß gekleidete Männer. Als unser Anker fiel, erhoben sie sich und machten sich auf den Weg in die Stadt. Sie mussten natürlich ihre Uniformen finden, und weil Loreto nicht oft besucht wurde, und auch der Gouverneur nicht erst kürzlich hier war, war das vielleicht keine ganz einfache Sache. Vielleicht mussten Kinder von Haus zu Haus auf der Suche nach Rock und Gürtel losgeschickt werden, oder ausschwärmen, um saubere Hemden auszuborgen. Der Señor vom Amt musste sich rasieren, parfümieren und einkleiden. Das alles braucht seine Zeit, und das Boot im Hafen wird warten. Das Boot sah zwar ohnehin nach nichts Besonderem aus, aber immerhin war es ein Boot.
Hierin sind mexikanischer Amtspersonen mustergültig: sie begrüßen ein Fischerboot mit der gleichen ernsthaften Förmlichkeit, die sie auch der Queen Mary angedeihen lassen würden, und die Queen Mary würde ebenso lange warten müssen. Das gab uns ein gutes Gefühl, und so regten wir uns auch nicht über die Hafengebühren auf – die es in diesem Fall nicht gab! Wir kamen zu ihnen, und fühlten uns nicht wie langweilige Seeleute auf einem Fischerboot behandelt, sondern wie Botschafter aus Ultra-Marina, die Grußbotschaften aus der Ferne brachten.“ (Übersetzt ins Deutsche von Andreas)

Gut 80 Jahre später: die Palmen sind immer noch da, der Sandstrand ebenfalls. Wahrscheinlich neu ist ein kleiner durch einen Wellenbrecher geschützter Hafen für Ausflugs- und Fischerboote. Wir passen da nicht rein und ankern bei sehr ruhiger See direkt davor. Offiziell anmelden muss man sich heutzutage auch nicht mehr, dachten wir. Aber nachdem wir unser Dinghi an einem schmalen Steg im Hafen angebunden haben, bedeutet uns der Wachmann am Tor, wir müssten erst zum Hafenbüro gehen. Dort erklärt uns ein Angestellter, dass wir eine Gebühr zu entrichten hätten und zwar 1. für das Beiboot, 2. für uns beide und 3. für die beiden Müllbeutel, die wir in die große Tonne am Steg gestopft haben: alles zusammen gerechnet bezahlen wir umgerechnet 20 EUR. Die Gebühr für den Stadtbesuch und das Bewachen des Beibootes sei jeden Tag aufs Neue zu entrichten, merkt der Hafenmeister fast schon entschuldigend an, allerdings habe er uns für den heutigen Tag die Gebühr nur für eine Person berechnet.
Wir schütteln etwas verwundert den Kopf über diese neuen Regelungen und die flexible Umsetzung und machen uns auf den Weg. Auch dieses Mal verbinden wir das Pflichtprogramm (Wäscherei und Supermärkte) mit dem Vergnügen, eine neue Stadt zu erkunden.

An dieser Stelle ein kleiner historischer Exkurs: Loreto ist die älteste sogenannte „Mission“ auf der mexikanischen Halbinsel Baja California. Von hier aus begannen die Jesuiten im Jahr 1697  die einheimische Bevölkerung zum Christentum zu bekehren, in dem sie weitere Missionen auf der Baja California gründeten. Bereits 1535, also mehr als 150 Jahre früher, hatte Hernán Cortéz (Wikipedia), vergeblich versucht, hier einen Stützpunkt zu bauen. Wer mehr über die Geschichte der Missionen lesen möchte: Spanische Missionen in Kalifornien (Wikipedia)

Das heutige Loreto mit seinen rund 20.000 Einwohnern setzt auf Individualtourismus ohne Hotelburgen und Kreuzfahrtschiffe. Touren zu den prähistorischen Höhlenmalereien (mit Jagdszenen) in den Bergen werden ebenso angeboten wie Kajak-Touren oder Tagesausflüge in umgebauten Fischerbooten zu einsamen Stränden an der Küste oder bei den angrenzenden Inseln.


Ein altes Hotel mit einem Innenhof im Kolonialstil


Pension mit Garten

Der zentrale Platz von Loreto ist sehr gemütlich und einladend gestaltet mit Bänken, einem Pavillon und Schatten spendenden Palmen, so freundlich und offen wie sich auch die ganze Stadt präsentiert.

Während wir durch die Straßen laufen, können wir immer mal wieder einen Blick in liebevoll gepflegte grüne Vorgärten werfen. Manche Häuser haben als Aufbau ein freistehendes mit Palmwedeln bedecktes Dach. In den Sommermonaten kann es hier sehr heiß werden und da ist eine kühlende Brise abends auf dem Dach sicher willkommen.

In der Fußgängerzone, die von der Uferpromenade abgeht, verdichtet sich die Anzahl der Restaurants und Cafés. Dazwischen gibt es Andenkenläden, die neben viel unnützem Kram doch auch schönes Kunsthandwerk aus vielen Teilen Mexikos anbieten. Ein Laden hat es mir ganz besonders angetan, dort verbringe ich einen halben Nachmittag damit, mir die Webarbeiten (Tischläufer, Tücher und Teppiche) anzusehen, alle aus der Provinz Oaxaca, die für ihre farbenfrohen Arbeiten bekannt ist.


In der Fußgängerzone wird groß und deutlich auf die Maskenpflicht hingewiesen


Ein Impfangebot für Kinder unter 8 Jahren, am schwarzen Brett eines Supermarktes gesehen

Nach zwei Tagen Flaute frischt der Wind auf, der Ankerplatz vor der Stadt wird zu schaukelig. In der Früh fahren wir mit dem Dinghi noch schnell zum Arroyo, dem trockenen Flussbett, am südlichen Rand der Stadt. Hier wird jeden Sonntagvormittag auf einem Platz oberhalb des Arroyo ein kleiner Markt aufgebaut. Wir füllen unsere Rucksäcke noch einmal mit viel frischem Obst und Gemüse und kaufen von diesem liebevoll dekorierten Stand noch Ziegenkäse und Fleisch. Jetzt sind wir wieder für eine Weile autark und können in Ruhe die Inseln des Nationalparks um Loreto herum erkunden.

Höhlenmalereien

Im Revierführer wird erwähnt, dass man hier von der Bucht Agua Verde eine Wanderung zu Höhlenmalereien unternehmen könnte. Vom kleinen Sandstrand unserer Nordbucht führt ein schmaler Trampelpfad einen Berg hoch und ins angrenzende Tal wieder runter. In der Senke angekommen, sehen wir links einen kleinen aufgelassenen Friedhof, die schweren Grabsteine sind verfallen und liegen schief in der Erde, die meisten Gräber sind aus den 1950er und 1960er Jahren.

Der Weg geht weiter zu einer Lagune, ein kleiner Vogel mit einer lustigen Sturmfrisur zwitschert fröhlich in der Vormittagswärme.

Diese Lagune ist nicht besonders groß, hat aber einen beeindruckenden Palmenwald. Manche dieser Stämme ringeln sich wie riesige schuppige Schlangen auf dem Boden zusammen, so etwas haben wir noch nie gesehen!

Wir erreichen die Stelle, an der das Meereswasser durch einen schmalen Kanal in die Lagune strömt. Ein beherzter Sprung mit dem Risiko im Wasser zu landen, oder Schuhe aus und durch waten…

Vor uns liegt nun der lange Nordstrand, an dem sich die großen Wellen brechen. Schon wieder eine ganz andere, neue Topographie. In der Brandungszone ist der Boden voller Steine und Geröll, weiter oben gibt es körnigen Sand, der ganz leicht mit schwarzem Staub bepudert ist.

Ein kleiner Krebs hat sich perfekt an diese Farben und Strukturen angepasst, fast hätte ich ihn übersehen, wäre er nicht hektisch geworden und ein Stück weit über den Sand gesaust.

Bizarre Figuren, Fabelwesen erheben sich aus dem Sand, mehr oder weniger von Menschenhand zusammen gestellt und drapiert.

Kurz bevor der Strand endet, führt zwischen den Sträuchern ein Weg ins Landesinnere. Wir folgen den Reifenspuren im Sand bis wir auf der rechten Seite eine kleine Steinpyramide sehen. Hier beginnt ein steiler Pfad, auf dem man zwischen den stacheligen Sträuchern und Kakteen den Berg hoch zur Höhle gelangt, wo sich die Wandmalereien befinden: ein paar Handabrücke auf einem kalkweißen Felsen als Zeugnis urzeitlicher Besiedlung.


Blick von der Höhle über den Strand

Auf dem Rückweg ist das Wasser schon soweit gefallen, dass wir es wagen können, direkt am felsigen Abschnitt des Nordufers entlang zu gehen. Austernfischer holen sich Kleingetier aus dem Wasser, sie haben eine reiche Auswahl: unter jedem Stein, den wir umdrehen, leben Würmer, Schnecken, Seesterne und Seeigel.

Die Felsen sind von Wind und Wasser angeknabbert, wir staunen jedes Mal über die vielen verschiedenen Formen, Farben und auch über die Zusammensetzung des Gesteins. Eine einsame Palme hat sich hier angesiedelt und hält tapfer die Stellung gegen Wind und Wellen.

Am späten Nachmittag gehen wir noch mal an diesen Strand, suchen ein paar Muscheln und versuchen, das goldene Licht der Abendsonne auf Fotos einzufangen.

Bahia Agua Verde

30. Dezember 2021 – 07. Januar 2022


Auf dem Weg zur Bahia Agua Verde

Bevor der Nordwind wieder ordentlich zu blasen anfängt und es draußen auf dem freien Wasser des Golfes ungemütlich wird, verziehen wir uns rechtzeitig in die Bahia Agua Verde.
Es ist eine große Bucht mit zwei Ankerplätzen, einen im Süden und einen im Norden. Dazwischen liegt das gleichnamige Dorf in einem von hohen Bergen umgebenen Tal. Wir steuern den nördlichen Ankerplatz an und suchen uns hier ein Plätzchen für die nächsten Tage. An der Stirnseite der Bucht befindet sich ein schmaler Sandstrand mit einem kleinen Campingplatz, der von einem alten Mann mit Hund behütet und gepflegt wird. Als wir ankommen stehen da ein paar der typisch kastenförmigen Wohnmobile aus den USA oder Kanada, die aussehen, als ob ein Pickup oder ein LKW zu einem fahrenden Heim umgebaut wurde. So verwunschen und zauberhaft diese Ecke der Bucht auch ist, bei Nordwind wird es ungemütlich und die Camper ziehen weiter.

„That night we rigged a lamp over the side, shaded it with a paper cone, and hung it down to the water so that the light was reflected downward. Pelagic isopods and mysids immediately swarmed to the illuminated circle until the water seemed to heave and whirl with them. The small fish came to this horde of food, and on the outer edges of the light ring large fishes flashed in and out after the small fishes. Occasionally we interrupted this mad dance with dip-nets, dropping the catch into porcelain pans for closer study, and out of the nets came animals small or transparent that we had not noticed in the sea at all.” (John Steinbeck: The Log from the Sea of Cortez. Penguin books, 1986. Seite 180f)
„In der Nacht brachten wir an der Bordwand eine Lampe aus, schatteten sie mit einem Kegel aus Papier ab und hängten sie so über die Wasseroberfläche, dass ihr Lichtschein nach unten fiel. Meerasseln und Schwebegarnelen schwärmten sofort zum Lichtkegel hin, bis das Wasser von ihnen zu wogen und zu brodeln schien. Die kleinen Fische kamen zu dieser Masse an Nahrung, und am Rande des Lichtkreises schnellten große Fische den kleinen Fischen nach. Gelegentlich unterbrachen wir diesen irren Tanz mit Keschern, gossen den Fang in Porzellanschalen zur genaueren Untersuchung, und aus den Netzen kamen so kleine oder durchsichtige Tiere, dass wir sie im Wasser überhaupt nicht gesehen hatten.“ (Übersetzung ins Deutsche von Andreas)

Schon am ersten Abend in der Bucht hören wir das Platschen der Fische, die teilweise aus dem Wasser hüpfen, im Inneren des Bootes klingt es, als ob manche von ihnen dabei an die Bordwand stoßen würden. Andreas kramt unseren starken Handscheinwerfer heraus und leuchtet damit ins Wasser. Und es passiert genau das, was wir später bei Steinbeck nachlesen. Zuerst versammeln sich viele kleine undefinierbare Pünktchen im Lichtkegel bis auch kleine Dornhechte vom Licht angelockt werden. Sobald wir das Licht etwas schwenken, sehen wir, wie einige größere Fische vor dem Licht fliehen. Wir wollen wissen, was es mit den winzigen kleinen schwebenden Teilchen auf sich hat und holen mit der Pütz ein paar Liter Wasser hoch, gießen es durch ein Küchentuch und versuchen erst mit der Lupe dann mit dem Mikroskop zu erkennen, was da alles im Wasser geschwommen ist. Es wimmelt und wuselt nur so von kleinen Krebsen, Krabben und Fischlarven.
Am nächsten Morgen ist der Himmel bedeckt. Auf einmal beginnt es zu regnen und will gar nicht mehr aufhören. So einen Wolkenbruch haben wir hier in Mexiko bisher noch nicht erlebt! Wenn überhaupt, dann gab der Himmel ein paar Tropfen ab oder ließ einen feinen Sprühregen für gerade mal 10 Minuten los. Wir hätten richtig viel Regenwasser sammeln können, so wie wir das in Neuseeland und Alaska regelmäßig taten, aber da wir hier mit einem so heftigen und ausgiebigen Regenguss nicht gerechnet haben, glauben wir, dass es jeden Moment aufhören könnte und schauen nur staunend zu. Irgendwann ist es dann doch vorbei mit der nassen Herrlichkeit und wir können unseren geplanten Ausflug ins Dorf machen. Vom kleinen Sandstrand aus kann man nur bei Niedrigwasser direkt am Ufer entlang laufen, ansonsten muss man auf der Schotterstraße den Berg hoch, runter ins Tal und um einen weiteren Berg herum wandern. Von oben sieht das Dörfchen eigentlich ganz grün aus. Die Häuser verteilen sich im Tal zwischen erstaunlich vielem Grün. Auch ein grüner Gürtel aus dichtem Strauchwerk schützt das Dorf vor der Brandung des langen Sandstrandes. Auf einem handgemalten Schild werden die Sehenswürdigkeiten aufgezählt: 2 Kirchen, 4 Schulen, 2 Restaurants, 3 Läden, Wifi. Und, was nicht auf dem Schild steht, uns aber ein Junge stolz berichtet: für die 300 Einwohner des Dorfes gibt es eine Tortilleria, das mexikanische Pendant zur Bäckerei.

„Was für ein Regen!“, alle mit denen wir an diesem Tag sprechen, erwähnen den Regen. Die ausgedörrte Erde konnte so viel Wasser gar nicht aufnehmen, die staubigen Wege im Dorf haben sich in rutschigen Schlamm verwandelt und wir versuchen, die großen Pfützen vorsichtig zu umgehen.
Heute hat nur einer der drei Läden geöffnet, ein kleines Regal mit Obst und Gemüse, zwei Gänge mit haltbaren Gütern in Säcken und Konserven und großen Kühltruhen fürs Fleisch. Von dem frischen Ziegenkäse, der hier im Dorf hergestellt wird, nehmen wir ein großes Stück mit.
Auf dem Rückweg treffen wir oben am Berg einen Mann, der gerade von einem gemauerten Gebäude oberhalb der Straße herunter kommt. Wir sprechen ihn an und er erzählt uns, dass es sich um die Wassertanks des Dorfes handelt, die er betreut. Er wollte mal nachsehen, ob nach dem Regen alles in Ordnung sei. Zu diesem Wassertanks laufen Leitungen aus schwarzem Kunststoff in verschiedene Richtungen. Das Wasser kommt aus einem 9 Kilometer weit entfernten Teich oben im Gebirge und wird dann wiederum durch Leitungen hinunter ins Dorf geführt. Wir erzählen ihm von der Entsalzungsanlange in San Evaristo, und fragen ihn, ob das nicht auch eine Alternative für dieses um so viel größere Dorf sei? Vor allem, wenn es immer weniger regnet? Ja, über eine solche Anlage habe man vor einem Jahr auch hier diskutiert, sich aber dagegen entschieden. Ob es daran scheiterte, dass das Wahlversprechen der Lokalpolitiker, eine solche Anlage finanziell zu fördern, nicht eingehalten wurden? So genau haben wir das nicht verstanden, es fehlt uns dafür leider der nötige Wortschatz. Wie so oft überschätzt auch dieser nette Wasserwart unsere Sprachkenntnisse. Viele unserer Gesprächspartner glauben, dass wir sehr gut Spanisch sprechen würden, nur weil wir ein paar wenige und viel geübte Gesprächsthemen über Herkunft, Reisen, Fragen nach ihren Familien und ihrem Leben relativ flüssig beherrschen. So entgehen uns leider immer wieder Feinheiten bei komplexeren Themen. Der Wasserwart will seinerseits auch viel über Deutschland wissen, ob es wirklich so grün sei und so viel regnen würde, und erkundigt sich nach unterirdisch fahrenden Zügen, die würde er gerne einmal sehen, er sei so fasziniert von Tunnels. Wir hoffen, unsere Antworten waren für ihn einigermaßen verständlich und verabschieden uns nach einer Weile ganz herzlich von ihm.

Warum aber nun heißt diese Bucht „Agua Verde“, grünes Wasser? An manchen Stellen schimmert das Wasser in der Sonne türkis und grün, wie in so manchen anderen Buchten auch. Ist es vielleicht grüner als anderswo? An Sylvester finden wir eine mögliche Erklärung. Es ist eine buchstäblich sternenklare Nacht, kein Mond, der die Finsternis durchbricht, auch kein Streulicht vom Land her. Wir lassen nur noch das Rotlicht im Boot an und gewöhnen unsere Augen an die Dunkelheit. Im Wasser dagegen blitzt und blinkt und sprüht es grüne neonfarbene Funken! Der Golf von Kalifornien (Sea of Cortez) ist bekannt für seine Biolumineszenz, dafür, dass es an vielen Stellen fluoreszierende Algen und Tierchen im Wasser gibt. Hier in unserer Bucht sind sie in dieser Nacht in einer besonders hohen Konzentration vorhanden, was bedeutet, dass die kleinen Tierchen, aber auch die vielen Fische, die nachts an die Oberfläche kommen, durch ihre Bewegung die Algen zum Leuchten bringen. So sehen wir kurze oder lange grün leuchtende Streifen wie ein Feuerwerk durchs Wasser ziehen. Und dann erscheint auf einmal eine kompakte hellgrün schimmernde Wolke im Wasser, die sich zu einer Kugel formt, wieder verformt und schließlich einen großen Ring bildet. Der Ring öffnet sich, wird zu einer Schlange, dann wieder eine diffuse Wolke, um anschließend erneut einen Ring im Wasser zu zeichnen. Es ist „spooky“, wir erinnern uns an das Umschlagbild von Frank Schätzings Roman „Der Schwarm“. Und nein, es lag nicht daran, dass wir schon leicht angeheitert mit Sekt auf das Neue Jahr angestoßen hatten. Um dieser geisterhaften Erscheinung auf den Grund zu gehen, leuchten wir versuchsweise mit der Taschenlampe auf den Ring: da tanzt gerade ein ganzer Schwarm Sardinen durchs Wasser! Schade, dass wir keine Fotos davon machen konnten, so müssen wir unsere geneigten Leserinnen und Leser bitten, sich dieses Schauspiel mit viel Fantasie anhand unserer Beschreibung vorzustellen.


Pelikane im südlichen Ankerplatz


Blick von oben auf den südlichen Ankerplatz

Karg

So richtig vorstellen konnten wir uns das nicht, als wir von Deutschland kommend mit dem Flieger den Golf von Kalifornien auf dem Anflug auf Tijuana überflogen und hinabsahen. Also damals, vor über fünf Monaten, als Alpha noch die „britische Variante“ und Delta der neueste Schrei war.

Jedenfalls schauten wir aus dem Flugzeugfenster und sahen neben dem blauen Meer nur braune und graue Farbtöne, nichts Grünes. Schrecklich eintönig sah das aus, schroffe Gebirge ohne Bewuchs im Wechsel mit ebenen sandigen Flächen, die eher staubig als einladend aussahen. Welch ein Unterschied zu den Wäldern Nordamerikas, der üppigen tropischen Vegetation der Südsee, den Bergwiesen Südtirols. Und da wollen wir die nächsten Monate, vielleicht sogar das nächste Jahr verbringen? Da gibt es doch außer See, Sand und Steinen nichts.


Ganz falsch gedacht. Zugegeben, die Landschaft ist karg. Und hat doch so viel zu bieten. Das fängt mit dem Gestein an den Küsten an, das sich teils vielfarbig geschichtet, in aufgebrochenen Sedimenten zu steilen Abbruchkanten aufschiebt. An manchen Orten sind unzählige versteinerte Muscheln in die Sedimente eingearbeitet, an anderen Stellen ragen schroffe Felsen aus vulkanischem Material empor. An einem Ort finden wir sogar meterbreite Adern aus Obsidian im Felsen eingebettet. Aus weicherem Gestein hat die See Höhlen ausgewaschen oder skurril geschwungene Skulpturen übriggelassen. Am Strand entdeckt man Achate unter den Kieseln, wenn man genau hinschaut.






Die Gebirgszüge der Sierra de la Giganta bieten uns fast täglich eine imposante Kulisse. Je nach Wetterlage entweder als gestochen scharfe Silhouette gegen den stahlblauen Himmel oder in abgestuft im Dunst verschwindenden mehrlagigen Zügen. Im Licht der niedrigstehenden Sonne bei ihrem Auf- oder Untergang erstrahlen die näher liegenden Hänge in leuchtendem Dunkelrot, an dem wir uns nicht sattsehen können. Die Fotos geben dieses Farbenspiel leider nur unvollkommen wieder.






Aber es gibt nicht nur Stein und Staub. So wenig Wasser auch zur Verfügung steht, etliche Pflanzen ringen der Natur doch genügend Feuchtigkeit zum Überleben ab. Unzählige Kakteenarten, aber auch andere Sukkulenten und Blattpflanzen trotzen der Trockenheit. Auf fast jedem Landspaziergang entdecken wir Pflanzen, die wir zuvor noch nicht gesehen hatten. Und wenn wir hin und wieder etwas frisches Grün oder eine kleine bunte Blüte inmitten der grauen Stachelwüste finden, kommen sie uns gerade durch den Kontrast besonders kostbar vor.