Bahia Agua Verde

30. Dezember 2021 – 07. Januar 2022


Auf dem Weg zur Bahia Agua Verde

Bevor der Nordwind wieder ordentlich zu blasen anfängt und es draußen auf dem freien Wasser des Golfes ungemütlich wird, verziehen wir uns rechtzeitig in die Bahia Agua Verde.
Es ist eine große Bucht mit zwei Ankerplätzen, einen im Süden und einen im Norden. Dazwischen liegt das gleichnamige Dorf in einem von hohen Bergen umgebenen Tal. Wir steuern den nördlichen Ankerplatz an und suchen uns hier ein Plätzchen für die nächsten Tage. An der Stirnseite der Bucht befindet sich ein schmaler Sandstrand mit einem kleinen Campingplatz, der von einem alten Mann mit Hund behütet und gepflegt wird. Als wir ankommen stehen da ein paar der typisch kastenförmigen Wohnmobile aus den USA oder Kanada, die aussehen, als ob ein Pickup oder ein LKW zu einem fahrenden Heim umgebaut wurde. So verwunschen und zauberhaft diese Ecke der Bucht auch ist, bei Nordwind wird es ungemütlich und die Camper ziehen weiter.

„That night we rigged a lamp over the side, shaded it with a paper cone, and hung it down to the water so that the light was reflected downward. Pelagic isopods and mysids immediately swarmed to the illuminated circle until the water seemed to heave and whirl with them. The small fish came to this horde of food, and on the outer edges of the light ring large fishes flashed in and out after the small fishes. Occasionally we interrupted this mad dance with dip-nets, dropping the catch into porcelain pans for closer study, and out of the nets came animals small or transparent that we had not noticed in the sea at all.” (John Steinbeck: The Log from the Sea of Cortez. Penguin books, 1986. Seite 180f)
„In der Nacht brachten wir an der Bordwand eine Lampe aus, schatteten sie mit einem Kegel aus Papier ab und hängten sie so über die Wasseroberfläche, dass ihr Lichtschein nach unten fiel. Meerasseln und Schwebegarnelen schwärmten sofort zum Lichtkegel hin, bis das Wasser von ihnen zu wogen und zu brodeln schien. Die kleinen Fische kamen zu dieser Masse an Nahrung, und am Rande des Lichtkreises schnellten große Fische den kleinen Fischen nach. Gelegentlich unterbrachen wir diesen irren Tanz mit Keschern, gossen den Fang in Porzellanschalen zur genaueren Untersuchung, und aus den Netzen kamen so kleine oder durchsichtige Tiere, dass wir sie im Wasser überhaupt nicht gesehen hatten.“ (Übersetzung ins Deutsche von Andreas)

Schon am ersten Abend in der Bucht hören wir das Platschen der Fische, die teilweise aus dem Wasser hüpfen, im Inneren des Bootes klingt es, als ob manche von ihnen dabei an die Bordwand stoßen würden. Andreas kramt unseren starken Handscheinwerfer heraus und leuchtet damit ins Wasser. Und es passiert genau das, was wir später bei Steinbeck nachlesen. Zuerst versammeln sich viele kleine undefinierbare Pünktchen im Lichtkegel bis auch kleine Dornhechte vom Licht angelockt werden. Sobald wir das Licht etwas schwenken, sehen wir, wie einige größere Fische vor dem Licht fliehen. Wir wollen wissen, was es mit den winzigen kleinen schwebenden Teilchen auf sich hat und holen mit der Pütz ein paar Liter Wasser hoch, gießen es durch ein Küchentuch und versuchen erst mit der Lupe dann mit dem Mikroskop zu erkennen, was da alles im Wasser geschwommen ist. Es wimmelt und wuselt nur so von kleinen Krebsen, Krabben und Fischlarven.
Am nächsten Morgen ist der Himmel bedeckt. Auf einmal beginnt es zu regnen und will gar nicht mehr aufhören. So einen Wolkenbruch haben wir hier in Mexiko bisher noch nicht erlebt! Wenn überhaupt, dann gab der Himmel ein paar Tropfen ab oder ließ einen feinen Sprühregen für gerade mal 10 Minuten los. Wir hätten richtig viel Regenwasser sammeln können, so wie wir das in Neuseeland und Alaska regelmäßig taten, aber da wir hier mit einem so heftigen und ausgiebigen Regenguss nicht gerechnet haben, glauben wir, dass es jeden Moment aufhören könnte und schauen nur staunend zu. Irgendwann ist es dann doch vorbei mit der nassen Herrlichkeit und wir können unseren geplanten Ausflug ins Dorf machen. Vom kleinen Sandstrand aus kann man nur bei Niedrigwasser direkt am Ufer entlang laufen, ansonsten muss man auf der Schotterstraße den Berg hoch, runter ins Tal und um einen weiteren Berg herum wandern. Von oben sieht das Dörfchen eigentlich ganz grün aus. Die Häuser verteilen sich im Tal zwischen erstaunlich vielem Grün. Auch ein grüner Gürtel aus dichtem Strauchwerk schützt das Dorf vor der Brandung des langen Sandstrandes. Auf einem handgemalten Schild werden die Sehenswürdigkeiten aufgezählt: 2 Kirchen, 4 Schulen, 2 Restaurants, 3 Läden, Wifi. Und, was nicht auf dem Schild steht, uns aber ein Junge stolz berichtet: für die 300 Einwohner des Dorfes gibt es eine Tortilleria, das mexikanische Pendant zur Bäckerei.

„Was für ein Regen!“, alle mit denen wir an diesem Tag sprechen, erwähnen den Regen. Die ausgedörrte Erde konnte so viel Wasser gar nicht aufnehmen, die staubigen Wege im Dorf haben sich in rutschigen Schlamm verwandelt und wir versuchen, die großen Pfützen vorsichtig zu umgehen.
Heute hat nur einer der drei Läden geöffnet, ein kleines Regal mit Obst und Gemüse, zwei Gänge mit haltbaren Gütern in Säcken und Konserven und großen Kühltruhen fürs Fleisch. Von dem frischen Ziegenkäse, der hier im Dorf hergestellt wird, nehmen wir ein großes Stück mit.
Auf dem Rückweg treffen wir oben am Berg einen Mann, der gerade von einem gemauerten Gebäude oberhalb der Straße herunter kommt. Wir sprechen ihn an und er erzählt uns, dass es sich um die Wassertanks des Dorfes handelt, die er betreut. Er wollte mal nachsehen, ob nach dem Regen alles in Ordnung sei. Zu diesem Wassertanks laufen Leitungen aus schwarzem Kunststoff in verschiedene Richtungen. Das Wasser kommt aus einem 9 Kilometer weit entfernten Teich oben im Gebirge und wird dann wiederum durch Leitungen hinunter ins Dorf geführt. Wir erzählen ihm von der Entsalzungsanlange in San Evaristo, und fragen ihn, ob das nicht auch eine Alternative für dieses um so viel größere Dorf sei? Vor allem, wenn es immer weniger regnet? Ja, über eine solche Anlage habe man vor einem Jahr auch hier diskutiert, sich aber dagegen entschieden. Ob es daran scheiterte, dass das Wahlversprechen der Lokalpolitiker, eine solche Anlage finanziell zu fördern, nicht eingehalten wurden? So genau haben wir das nicht verstanden, es fehlt uns dafür leider der nötige Wortschatz. Wie so oft überschätzt auch dieser nette Wasserwart unsere Sprachkenntnisse. Viele unserer Gesprächspartner glauben, dass wir sehr gut Spanisch sprechen würden, nur weil wir ein paar wenige und viel geübte Gesprächsthemen über Herkunft, Reisen, Fragen nach ihren Familien und ihrem Leben relativ flüssig beherrschen. So entgehen uns leider immer wieder Feinheiten bei komplexeren Themen. Der Wasserwart will seinerseits auch viel über Deutschland wissen, ob es wirklich so grün sei und so viel regnen würde, und erkundigt sich nach unterirdisch fahrenden Zügen, die würde er gerne einmal sehen, er sei so fasziniert von Tunnels. Wir hoffen, unsere Antworten waren für ihn einigermaßen verständlich und verabschieden uns nach einer Weile ganz herzlich von ihm.

Warum aber nun heißt diese Bucht „Agua Verde“, grünes Wasser? An manchen Stellen schimmert das Wasser in der Sonne türkis und grün, wie in so manchen anderen Buchten auch. Ist es vielleicht grüner als anderswo? An Sylvester finden wir eine mögliche Erklärung. Es ist eine buchstäblich sternenklare Nacht, kein Mond, der die Finsternis durchbricht, auch kein Streulicht vom Land her. Wir lassen nur noch das Rotlicht im Boot an und gewöhnen unsere Augen an die Dunkelheit. Im Wasser dagegen blitzt und blinkt und sprüht es grüne neonfarbene Funken! Der Golf von Kalifornien (Sea of Cortez) ist bekannt für seine Biolumineszenz, dafür, dass es an vielen Stellen fluoreszierende Algen und Tierchen im Wasser gibt. Hier in unserer Bucht sind sie in dieser Nacht in einer besonders hohen Konzentration vorhanden, was bedeutet, dass die kleinen Tierchen, aber auch die vielen Fische, die nachts an die Oberfläche kommen, durch ihre Bewegung die Algen zum Leuchten bringen. So sehen wir kurze oder lange grün leuchtende Streifen wie ein Feuerwerk durchs Wasser ziehen. Und dann erscheint auf einmal eine kompakte hellgrün schimmernde Wolke im Wasser, die sich zu einer Kugel formt, wieder verformt und schließlich einen großen Ring bildet. Der Ring öffnet sich, wird zu einer Schlange, dann wieder eine diffuse Wolke, um anschließend erneut einen Ring im Wasser zu zeichnen. Es ist „spooky“, wir erinnern uns an das Umschlagbild von Frank Schätzings Roman „Der Schwarm“. Und nein, es lag nicht daran, dass wir schon leicht angeheitert mit Sekt auf das Neue Jahr angestoßen hatten. Um dieser geisterhaften Erscheinung auf den Grund zu gehen, leuchten wir versuchsweise mit der Taschenlampe auf den Ring: da tanzt gerade ein ganzer Schwarm Sardinen durchs Wasser! Schade, dass wir keine Fotos davon machen konnten, so müssen wir unsere geneigten Leserinnen und Leser bitten, sich dieses Schauspiel mit viel Fantasie anhand unserer Beschreibung vorzustellen.


Pelikane im südlichen Ankerplatz


Blick von oben auf den südlichen Ankerplatz

Mangroven und Kakteen

26. – 30. Dezember 2021

Isla San José, Lagune mit Mangroven

Endlich lässt der Nordwind nach, eine eher windstille Phase ist vorhergesagt und die brauchen wir, um in mehreren Tagesetappen weiter nach Norden zu ziehen. Zuerst tuckern wir mit der Muktuk zur Isla San José. Hier ist es ganz ruhig, das Wasser spiegelglatt und der Ankerplatz bietet eine ungewohnt weite und offene Sicht nach allen Seiten: Vor uns die Lagune, der grüne Gürtel der Mangrovenwälder der Isla San José.  Westlich von uns weit in der Ferne die Küstenlinie der Halbinsel Baja California mit dem hoch aufsteigenden Gebirge der Sierra de la Gigante, in der entgegengesetzten Richtung verliert sich der Horizont in einem unendlichen Blau.

Am nächsten Morgen fahren wir mit dem Beiboot zur Lagune. Wir unterhalten uns mit zwei Fischern, die gerade eben dort angekommen sind. Sie haben bereits ihre Neoprenanzüge angezogen und wollen Oktopusse jagen. Noch am späten Nachmittag sehen wir sie den äußeren langen Küstenabschnitt langsam abschwimmen, wir sind beeindruckt von ihrer Ausdauer.

Die Lagune wird teilweise durch einen schmalen langen Streifen Land vom Meer abgetrennt. Das Geröll auf diesem Streifen sieht fast so aus wie von Menschen aufgeschüttete Wellenbrecher. An einer Stelle ist diese Mauer aus Steinen unterbrochen, hier befindet sich der südliche Zugang zur Lagune. Die Wassertiefe beträgt hier gerade mal 20 cm, also steigen wir aus dem Dinghi aus und ziehen es hinter uns her, bis wir wieder in tieferes Wasser gelangen. Zwei Pelikane beobachten uns aus sicherer Entfernung.

Drinnen in der Lagune ist es gespenstisch still. Kein Windhauch, klares Wasser, aber kein Fisch zu sehen, ein paar Reiher sitzen in den dichten Mangrovensträuchern und ruhen sich aus. Wir tuckern langsam den großen Kanal entlang. An manchen Stellen öffnen sich kleinere Seitenkanäle. In einen davon fahren wir hinein und versuchen, uns alle Windungen zu merken, um uns nicht zu verirren. Aber unsere Sorge ist unbegründet, der Kanal ist eine Sackgasse und wir finden wieder zurück zum Hauptweg.

Laut Revierführer sollten hier viele Seeschildkröten und Fische zu sehen sein, aber außer den Unterwasserpflanzen ist keine Bewegung im Wasser. Endlich entdecken wir einen langen dünnen Hornhecht, der ganz ruhig im Wasser schwimmt und sich von uns überhaupt nicht stören lässt. Später, am Strand, finden wir ein Skelett, mit dem langgezogenen dünnen Kopf sieht es so aus, als ob es von einem Fisch der gleichen Art stammen könnte.

Das Fischerdorf San Evaristo

Die nächsten Tage geht es im Zickzack zwischen der Insel San José und dem Festland hin und her, es sind jeweils nur kurze Strecken. Gegenüber der Insel San José, am Festland der Baja California, befindet sich in der Bucht San Evaristo ein kleines Fischerdorf. Gemächlich tuckern wir hinüber und verbringen die Nacht in der nördlichen Ecke der Bucht, weitab vom Dorf.

„Nights at anchor in the Gulf are quiet and strange. The water is smooth, almost solid, and the dew is so heavy that the decks are soaked. The little waves rasp on the shell beaches with a hissing sound, and all about in the darkness the fishes jump and splash. Sometimes a great ray leaps clear and falls back on the water with a sharp report. And again, a school of tiny fishes whisper along the surface, each one, as it breaks clear, making the tiniest whisking sound. And there is no feeling, no smell, no vibration of people in the Gulf. Whatever it is that makes one aware that men are about is not there. Thus, in spite of the noises of waves and fishes, one has a feeling of deadness and of quietness.” (John Steinbeck: The Log from the Sea of Cortez. Penguin books, 1986. Seite 140)

„Die Nächte vor Anker sind still und seltsam im Golf. Das Wasser ist spiegelglatt, fast wie ein Festkörper, und der schwere Tau tränkt das Deck. Die kleinen Wellen reiben sich zischend an den Muscheln des Strandes, und überall in der Dunkelheit springen und plätschern die Fische. Manchmal schnellt ein großer Mantarochen in die Luft und fällt mit scharfem Klatschen ins Wasser zurück. Dann wieder flüstert ein Schwarm winziger Fische an der Oberfläche entlang, jeder einzelne mit einem kaum hörbaren wischenden Geräusch beim Durchbrechen des Wasserspiegels. Keine Empfindung, kein Duft, kein Beben deutet auf menschliche Existenz im Golf hin. Was es auch sein mag, das einen die Anwesenheit von Personen spüren lässt – es fehlt hier. Und so herrscht, trotz aller Geräusche von Wellen und Fischen, ein Gefühl der Leblosigkeit und Stille. (Übersetzung ins Deutsche von Andreas)

Auch morgens, während die Sonne langsam aufgeht und die Felsen orange färbt, hüpfen die Fische im Wasser um uns herum, während ich mit meiner ersten Tasse Tee an Deck sitze und jeden einzelnen Augenblick dieser zauberhaften Stunde genieße.

Das Fischerdorf hat sich eine schöne neue Entsalzungsanlage gegönnt. Der Betreuer der Anlage erklärt uns, dass die alte Anlage bereits in die Jahre gekommen war und der Diesel, mit dem sie lief, immer teurer wurde. Die neue Anlage dagegen wird mit 34 großen Solar-Paneelen betrieben und kann bis zu 2.000 Liter Trinkwasser pro Stunde produzieren. Aber sie werde nie so hochtourig gefahren, so halte sie länger, meint er. 1.000 Liter pro Stunde sind ja auch beeindruckend viel! Uns scheint es eine auf lange Sicht sehr kluge Investition zu sein, denn in dieser Gegend regnet es kaum und in den letzten Jahren immer weniger, die ersten Anzeichen des Klimawandels machen sich wohl schon bemerkbar. Wir füllen unsere Kanister mit Trinkwasser, und erhalten es zu einem ungemein günstigen Preis von einem mexikanischen Peso pro Liter. (Der Umrechnungskurs ist momentan 25 Pesos für einen Euro).

Das Dorf besteht im Wesentlichen aus einer losen Reihe von Häusern und Hütten am Ufer. Wir laufen am Strand entlang, als gerade zwei Fischer mit ihrem Boot anlanden. Da wir in den letzten Tagen unterwegs leider nichts gefangen haben, kaufen wir von ihnen einen „Mexikanischen Sierra“. Nun, mit einer Plastiktüte in der Hand, die nach frischem Fisch riecht, wird einer der herum streunenden Hunde auf uns aufmerksam und will sich unbedingt mit uns anfreunden. Er folgt uns bis zum Leuchtturm an der südlichen Seite der Bucht und zum Café, wo wir für eine kleine Gebühr einen Internetzugang für unsere Mobiltelefone erhalten und Wetter und die neuesten Nachrichten herunter laden. Unser neuer Freund will uns gar nicht gehen lassen, er begleitet uns auf dem Rückweg bis zum Dinghi und schwimmt noch ein ganzes Stück ausdauernd im Meer hinter uns her.

Kaktuswald auf der Isla San José

Wir gehen Anker auf und tuckern mit der Muktuk zurück zur Isla San José. Über Nacht ankern wir vor dem dichten Kaktuswald, der direkt hinter der Lagune beginnt und fast die ganze Westseite der Insel einnimmt. Dieser Wald sieht schon vom Boot aus beeindruckend aus. Am nächsten Tag wollen wir ihn uns näher anschauen. Direkt am Strand stehen ein paar niedrig gewachsene Sträucher und dahinter bauen sich die riesigen Kakteen auf. Zwischen den Kakteen wächst noch mehr Gestrüpp und es ist bald kein Durchkommen mehr möglich. Hier und da sehen wir einen schmalen Pfad und eine Lücke im Gebüsch, offensichtlich von den Ziegen ausgetretene Wege, aber so klein und gelenkig wie sie sind wir nicht. Ich habe mir nicht vorstellen können, wie riesig diese Kaktusbäume werden können und wie unterschiedlich, jedes Exemplar mit einer ganz eigenen Art der Verzweigung.

Nachdem wir gefühlt jeden Baum und jeden Strauch am Rande des Kaktuswaldes bewundert und fotografiert haben, spazieren wir noch eine Weile am Strand entlang bis zu den improvisierten Hütten, die von Fischern für die eine oder andere Übernachtung genutzt werden. Auch an diesem Strand finden wir wieder eine Menge Muscheln und Steine und viele verschiedene Knochen.


Kopf eines Pelikans?


Brustknochen eines Pelikans?


Knochen vom Panzer einer Schildkröte, Unterseite


Knochen vom Panzer einer Schildkröte, Oberseite

Weihnachten mit Sandstrand und Saline

22. – 26. Dezember 2021

Für Weihnachten hatten wir uns eine hübsche kleine Ankerbucht namens El Cardoncito bei der Insel Espiritu Santo ausgesucht. Die ist so klein, dass außer uns und vielleicht einem gelegentlich vorbeikommenden Ausflugsboot kein weiteres Segelboot darin Platz gehabt hätte. Hohe Felsen säumen die Bucht, mit vielen Höhlen, von Wind und Wasser ausgewaschen, in der Abendsonne leuchteten sie golden und rot. Ganz im Inneren befindet sich ein winzig kleiner Sandstrand, dahinter ein Tal voller grüner Sträucher und Kakteen. Nach zweit Tagen aber blies der Wind auf einmal ganz anders und wir kamen den malerischen Felsenwänden viel zu nahe. Auf dem Weg von La Paz hierher hatten wir festgestellt, dass sich das Ruderblatt der Windsteuerung gegen den Schaft verdreht hatte, wir also auf engem Raum nur noch eingeschränkt manövrieren konnten.

Daher beschlossen wir am Morgen des 24. Dezember die Inseln des Heiligen Geistes (Espiritu Santo) zu verlassen und zur Insel des Heiligen Franziskus (San Francisco) in eine weitläufigere Bucht zu fahren. Unterwegs platzte dann auch noch der Wasserschlauch unter der Spüle, der für die Zufuhr von Heißwasser vom Boiler zuständig war. Überschwemmung in der Küche, ein halber Wassertank, gut 50 Liter frisch vom Motor erhitztes Wasser, ergoss sich über Teller und Pfannen in die Schränke und die darunter liegenden Bilgen. Und das am Vormittag des 24. Dezember! Boot aufräumen und für den Heilig Abend ein bisschen dekorieren hatte ich mir eigentlich anders vorgestellt!

Statt Kekse, Strohsterne und Elche kunstvoll aufzuhängen, musste ich erst Schränke ausräumen, Teller und Hölzer trocken wischen. Und die Bilgen, wohin das Wasser geflossen war (immerhin nur Süßwasser, kein Salzwasser), waren nun ausgerechnet jene, wo wir mit dem Staubsauger ganz schwer ran kommen, weil da eben Wassertanks drin stecken. Nach der ersten Aufregung war dann doch alles halb so schlimm und schneller trocken gelegt, als gedacht.

Die Südseite der Isla San Francisco ist ein beliebter Ankerplatz, den wir uns mit rund zehn anderen Booten teilen. Ein langer Sandstrand säumt die Bucht, dahinter gibt es ein paar Berge, auf die man hoch wandern kann. Es ist ein beliebtes Ausflugsziel, auch von La Paz aus noch schnell zu erreichen, so dass an manchen Tagen am Strand Zelte und Sonnenschirme aufgebaut werden und kleine Gruppen von Touristen einen perfekten Urlaubstag genießen können.

Auch uns gefällt es hier, die Weihnachtsfeiertage über bleiben wir an diesem Ankerplatz. Im Revierführer haben wir gelesen, dass am Strand an der Nordseite der Insel Achate zu finden sind. Da die Insel in der Mitte ganz schmal und flach ist, ist es ein kurzer und einfacher Spaziergang auf die andere Seite. Mitten drin sind ein paar Salinen angelegt, wir füllen uns in eine Tüte etwas von diesem feinen Meeressalz ab. Der Nordstrand ist voller Geröll und dicker rund geschliffener Steine mit lustigen Muscheln drauf.

Ein paar Krebse sitzen in der Brandungszone auf den Steinen und scheinen alles andere als erfreut zu sein, dass wir sie beim Sonnenbaden stören. Sie vor die Kamera zu kriegen, ist nicht einfach, sobald wir uns nähern, verschwinden sie rasend schnell in sichere Höhlen.

La Paz

17. – 21. Dezember 2021

“In addition, there is the genuine fascination of the city of La Paz. Everyone in the area knows the greatness of La Paz. You can get anything in the world there, they say. It is a huge place – not of course so monstrous as Guaymas or Mazatlán, but beautiful out of all comparison. The Indians paddle hundreds of miles to be at La Paz on a feast day. It is a proud thing to have been born in La Paz, and a cloud of delight hangs over the distant city from the time when it was the great pearl center of the world. The robes of Spanish kings and the stoles of bishops in Rome were stiff with the pearls of La Paz. There’s a magic-carpet sound to the name, anyway. And it is an old city, as cities in the West are old, and very venerable in the eyes of Indians of the Gulf. Guaymas is busier, they say, and Mazatlán gayer, perhaps, but La Paz is antigua.” (John Steinbeck: The Log from the Sea of Cortez. Penguin books, 1986. S. 119)

„Außerdem übt die Stadt La Paz eine wahrliche Faszination auf uns aus. Jeder aus der Gegend weiß um die Großartigkeit von La Paz. Alles in der Welt sei hier zu bekommen, sagt man. Sie ist groß, freilich nicht so monströs wie Guaymas oder Mazatlán, aber unvergleichlich schön. Die Indios paddeln Hunderte von Meilen, um an einem Festtag nach la Paz zu gelangen. Man ist stolz darauf, in La Paz geboren zu sein, und ein Schleier des Entzückens umgibt die ferne Stadt aus ihrer Zeit als Perlen-Hochburg der Welt. Die Roben spanischer Könige und die Stolen römischer Bischöfe starrten vor Perlen aus La Paz. Ihr Name klingt nach fliegenden Teppichen. Und die Stadt ist alt, alt wie Städte im Westen und äußerst vornehm in den Augen der Indios des Golfs. Guaymas mag geschäftiger sein, sagen sie, und Mazatlán vielleicht fröhlicher, aber La Paz ist antigua.“ (ins Deutsche übersetzt von Andreas)

Mit großen Erwartungen sehen auch wir unserem Aufenthalt in La Paz  entgegen, doch so schnell kommen wir gar nicht dorthin.

Direkt vor der Stadt befindet sich eine langgestreckte Sandbank. Dadurch entsteht ein enger Kanal mit starken Gezeitenströmen und der Schiffsverkehr durch den Kanal muss vom Hafenkapitän geregelt werden. Ab einer Windgeschwindigkeit von 20 Knoten sperrt der Hafenkapitän den Kanal und lässt keine Boote mehr rein oder raus. So müssen wir uns gedulden und erst einmal zwei Tage lang in der Caleta de Lobos, einer weiter von der Stadt entfernten Bucht, abwarten bis der Wind nachlässt und die Durchfahrt wieder möglich ist. Wir brauchen zwar keinen Lotsen, denn der Fahrweg ist gut sichtbar mit Tonnen ausgewiesen, müssen uns aber über Funk bei der „Capitania del Puerto“ anmelden und die Durchfahrt genehmigen lassen.

Die drei ausgewiesenen Ankerfelder vor der Stadt sind voll: es ist gerade Hauptsaison für die Segler und dazu noch die Woche vor Weihnachten. Wir sind wahrscheinlich nicht die Einzigen, die schnell noch proviantieren wollen, um dann die Feiertage draußen in einer schönen Bucht zu verbringen. Es dauert eine Weile, bis wir ein Plätzchen gefunden haben und hoffen, dass wir den benachbarten Booten nicht zu nahe kommen werden, sobald der Gezeitenstrom kippt und wir in der entgegengesetzten Richtung schwingen. Dieses Wechselspiel nennen sie hier den „La Paz Walzer“.

Die Stadt öffnet sich zum Meer hin mit einem kleinen Sandstrand und einer langen Uferpromenade, neben Touristen genießen auch viele Einheimische in großen Gruppen diese großzügige Anlage. Kinder sausen auf Fahrrädern oder Rollern umher, die Eltern und Großeltern spazieren gemütlich hinterher. Kleinere Hotels und viele Restaurants, Cafés und Andenkenläden bilden die Häuserzeile der Uferstraße, abends blinkt und blitzt überall der weihnachtliche Schmuck.

In den Straßen dahinter gibt es ruhige Wohnviertel mit schönen alten Häusern.

In den belebteren Einkaufsstraßen kommen in diesen Tagen die Leute mit Geschenken vollgepackt aus den Geschäften. Wie in vielen spanisch-sprachigen Ländern bekommen auch in Mexiko die Kinder ihre Geschenke erst am 6. Januar von den Heiligen Drei Königen. Aber jetzt schon hängen überall in den Hauseingängen und auf den Terrassen diese bunten Piñatas, die mit Süßigkeiten gefüllt werden.

La Paz ist die Hauptstadt der mexikanischen Provinz Baja California Sur, mit rund 250.000 Einwohnern fast schon eine Metropole in dieser dünn besiedelten Gegend. Viele Touristen kommen hierher, um mit kleinen Ausflugsbooten zu den Inseln Espitu Santos zu fahren, dort können sie mit Walhaien schwimmen und Seelöwen-Kolonien aus sicherer Entfernung anschauen. Die Inseln bilden einen Nationalpark, sanfter Tourismus bzw. Ökotourismus ist hier angesagt. Dazu passt auch, dass in La Paz gleich drei Institute für Meeresbiologie angesiedelt sind, die sich um den Erhalt der Vielfalt der Flora und Fauna des Golfs von Kalifornien bemühen, immerhin die zweithöchste der Welt. Wir kaufen uns online einen Jahrespass, der uns erlaubt, mit der Muktuk bei allen Inseln im Golf von Kalifornien ankern zu dürfen, die zu Nationalparks erklärt wurden.

Ein Segler erzählt uns, dass die New York Times 2020 La Paz auf die Liste der 52 schönsten Orte dieser Welt gesetzt hat. Danach seien die ersten Investoren angereist und nun stünde zu befürchten, dass die Preise durch die Decke gehen und sich die Einheimischen bald keine Häuser oder Urlaub hier leisten könnten.

Wir genießen den Charme von La Paz, die notwendigen Besorgungen in der Stadt zur Wäscherei, zum Markt oder Supermarkt verbinden wir mit Spaziergängen durch den Ort, suchen uns für mittags ein kleines Restaurant unter freiem Himmel und essen noch schnell ein leckeres Mango-Eis am Malecon, bevor wir zurück zur Muktuk tuckern.

Auf dem kleinen „Farmers Market“, der zwei Mal wöchentlich stattfindet, finden wir einen Stand mit „German Bratwurst“. Die Inhaberin ist vor 20 Jahren aus Deutschland ausgewandert, das Leben war ihr zu stressig dort. Und nun habe sie sich hier doch wieder viel zu viel Arbeit aufgehalst, meint sie und lacht.

Etliche Stände auf diesem kleinen Markt bieten Kunst und Kunsthandwerk an. Ein junger Mann hat sich mit der japanischen Technik des  Gyotaku  beschäftigt, und Abdrucke von Fischen hergestellt. Die Rahmen der Bilder sind aus dem Holz eines einheimischen Kaktus namens Cholla oder Cylindropuntia_cholla mit dieser typisch löchrigen Struktur.

Die großen Kirchen von La Paz sind auch schon weihnachtlich geschmückt. Dank des sommerlichen Wetters können die Türen und Tore immer offen bleiben und für den nötigen Durchzug sorgen, so dass trotz der Pandemie Gottesdienste stattfinden.

Das Walmuseum besteht aus drei kleinen improvisiert wirkenden Gebäuden aus Holz, die auf einer Seite offen sind. Die meisten Exponate, wie z.B. die riesigen Walknochen, sind im Hof unter freiem Himmel ausgestellt. Es ist eine beeindruckende Sammlung, die sich nicht nur auf Wale beschränkt. Wir sehen auch Knochen von verschiedenen Delfinarten und von Schweinswalen, von Haien, Seeschildkröten und Pelikanen. Und wir werden ausdrücklich dazu aufgefordert, die Exponate anzufassen. Wie weich sich die Barten der Wale anfühlen und wir spitz und scharf die Zähne vom Hai sind!

Da sich in den Marinas von La Paz und vor Anker überwiegend Segler aus den USA und Kanada versammeln und manche von ihnen über Jahre hinweg hier leben, andere wiederum jedes Jahr wieder kommen, gibt es einen Segel Club, der auch das überaus praktische und nützliche „Morning net“ betreibt. Täglich außer Sonntag um 8.00 h gibt es eine moderierte Funkrunde, in der das aktuelle Wetter, lokale Nachrichten und vom Club organisierte Aktivitäten durchgegeben werden. Danach kann man in die Runde Fragen stellen, wenn man Hilfe benötigt oder selbst Hilfe anbieten. So fragen auch wir über Funk die Segler, ob jemand ein Beiboot zu verkaufen hat oder jemanden kennt, der eines verkaufen möchte. (Andreas hatte unser Beiboot in den letzten Wochen ausdauernd geklebt, aber die Nähte gingen trotzdem immer weiter auf. Mit Bordmitteln war es einfach nicht mehr zu retten, wir mussten immer eine Luftpumpe dabei haben und aufpumpen.) Wir haben Glück und es meldet sich tatsächlich jemand! Bob, der zwölf Jahre lang der „Dinghi-Doktor“ in La Paz war, ist eigentlich seit ein paar Monaten in Rente, seine Webseite hat er längst abgeschaltet. Momentan wickelt er sein Geschäft nach und nach ab. Aber er hat noch zwei gebrauchte Beiboote im Angebot, frisch überholt! Eines der beiden ist perfekt für uns und zwei Stunden später haben wir ein neues Dinghi und freuen uns wie Schneekönige über dieses unerwartete Weihnachtsgeschenk!

Es ist ein unruhiger Ankerplatz vor La Paz, der Wind weht meistens gegen den Gezeitenstrom und dadurch entsteht eine kurze unangenehme Welle, die Muktuk schaukelt ruckartig hin und her. Und auch die tägliche Fahrt mit dem Beiboot zum Dinghi-Dock der Marina de La Paz und wieder zurück ist ziemlich anstrengend, so wie wir immer in die Wellen schlagen. Daher sind wir froh, dass wir innerhalb von vier Tagen alles erledigen konnten. Nun sind wir wieder mit viel frischem Obst und Gemüse versorgt, dazu haben wir ein sicheres und so gut wie neues Beiboot und können losfahren, immer weiter den Golf von Kalifornien hoch, von einer schönen Ankerbucht zur nächsten!

Bahia Los Frailes

08. – 13. Dezember 2021

Am nächsten Tag fahren wir weiter zur nächsten Bucht. In der Bahia Los Frailes wollen wir unsere Segelfreunde wieder treffen und in dieser geschützten Ecke ein paar Tage lang den vorhergesagten Nordwind abwettern.
Am felsigen Nordrand der Bucht bei den Felsen kann man gut schnorcheln, zwischen den Korallenblöcken spielen viele bunte Fische. Der Rest der Bucht wird umsäumt von einem langen Sandstrand. Ein paar kleine provisorische Unterkünfte für Fischer sind vor den Dünen aufgestellt und daneben parken Wohnmobile. Ein älterer Herr, den wir an einem dieser Tage am Strand treffen, erzählt uns, dass er jedes Jahr mit seinem ausgebauten Kastenwagen aus Kanada hierher kommt, um die Wintermonate an diesem sonnigen Platz zu verbringen.

Vom Strand aus kann man auf einem kleinen Trampelpfad den Berg hoch wandern. Im Bereich zwischen Sandstrand und der kleinen Lagune dahinter wachsen viele dichte Sträucher, einige davon mit hübschen kleinen Blüten. Auch der Berg ist mit einer Vielzahl an Sträuchern und Kakteen ausgestattet, manche so hoch, dass wir ab und zu im Schatten Pause machen können.

Von oben haben wir einen atemberaubenden Blick auf unsere Bucht, die Boote sind nur noch kleine Stecknadeln im großen Blau. Auf der anderen Seite Richtung Norden können wir die beiden nächsten Buchten sehen mit dem berühmten Pulmo Riff. Allerdings darf man seit einigen Jahren dort nicht mehr ankern, das Riff ist zu einem Schutzgebiet erklärt worden.

Wer erinnert sich noch an Jacques Cousteau und seine spektakulären Unterwasserfilme? Einige davon hat er auch hier im Golf von Kalifornien (Sea of Cortez) gedreht. Auf unserem Weg weiter in Richtung Norden kommen wir an der Isla Cerralvo vorbei, die 2009 umbenannt wurde und nun Isla Jacques Cousteau heißt.

Entlang dieser Küste haben wir immer mal wieder eine gute Internetverbindung und können Zeitungen und Podcasts herunter laden. Wir lesen die ersten Nachrichten über die neue Omikron-Variante und machen uns Sorgen: Was werden die nächsten Monate in diesem Winter für unsere Familien und Freunde in Deutschland angesichts der steigenden Infektionszahlen für neue Risiken und Einschränkungen im Alltag bereithalten? Wie wird es hier in Mexiko weiter gehen? Da es hier in der Baja California die meiste Zeit über sehr warm ist, stellt sich der sogenannte Sommer-Effekt ein, das soziale Leben spielt sich sowieso meistens draußen ab. Uns scheint es, dass die Leute hier sich den Vorgaben zum gegenseitigen Schutz ohne große Diskussionen fügen: in jedem Geschäft muss man am Eingang die Temperatur messen und die Hände desinfizieren, Masken werden ohne Diskussionen diszipliniert getragen, sogar draußen auf der Straße! Mexiko hat in den ersten Wellen der Pandemie weltweit eine der höchsten Todesraten verzeichnet, momentan aber steht die Corona-Ampel zumindest in unserem Bundesstaat noch auf grün. Während wir von einer einsamen Ankerbucht zur nächsten fahren, kommt uns alles so unwirklich vor, was während der Pandemie da draußen vorgeht.

Die Mexikanische Riviera am Cabo San Lucas

Cabo San Lucas

04. – 08. Dezember 2021

Das Erste was wir sehen, als wir uns dem Kap nähern, sind leuchtend grüne Flecken auf den ansonsten trockenen grau und braun gefärbten Hügeln. Es sind die Golfplätze der angrenzenden Hotelanlagen! Wir umfahren großräumig den berühmten Felsbogen „El Arco“ mit dem ebenso berühmten Strand der Liebe, der „Playa de Amor“, einem beliebten Ausflugsziel, das nur vom Wasser aus per Boot erreicht werden kann. Ein Kreuzfahrtschiff liegt auch schon da und bietet seinen Gästen das Fotomotiv direkt von Bord aus an.

Wir suchen einen einigermaßen ruhigen Ankerplatz in der Bucht vor der Stadt Cabo San Lucas, aber das scheint unmöglich zu sein. Ein langer Sandstrand liegt vor uns, dahinter ist das gesamte Ufer mit Hotels zugebaut und aus allen Ecken schallt uns Musik entgegen. Auf dem Wasser ist ebenfalls Party angesagt: Jet-Skis sausen in einer atemberaubenden Geschwindigkeit und mit nicht minderer Lautstärke an uns vorbei, gefolgt von größeren Motorbooten oder Katamaranen, die Musikboxen voll aufgedreht für die tanzenden Badegäste an Bord.

Pangas, kleinere Motorboote, hübsch blau angemalt und mit einem Sonnendach versehen, fahren Paare oder kleinere Gruppen durch die Gegend. Am späten Nachmittag versammeln sich alle Boote vor dem Felsbogen „El Arco“, um den romantischen Sonnenuntergang zu genießen. Danach wird es – zumindest auf dem Wasser – etwas ruhiger. Dafür drehen die Hotels ihre Boxen lauter und wir kommen in den Genuss der Samstags-Diskothek bis in der Früh um sechs Uhr. Als wir schon glauben, dass nun Ruhe einkehren könnte, werden schnell noch als Rausschmeißer ein paar mexikanische Schlager gespielt, unterlegt mit viel Blasmusik.

Cabo San Lucas hat sich zu einem riesigen Vergnügungspark entwickelt, tausende Touristen können in unübersichtlich vielen Hotelanlagen unterkommen. Nur dass jetzt wegen der Pandemie viel weniger Touristen da sind, erzählt uns der Besitzer eines Pangas. Zwar sind jetzt in der Vorweihnachtszeit überraschend viele Urlauber aus den USA und auch aus Mexiko da, aber es fehlen die Touristen aus Europa und Asien und auch die Kreuzfahrtschiffe dürfen momentan nur die Hälfte ihrer Kabinen belegen. So sieht man viele Pangas im Hafen liegen und vergebens auf Gäste warten.

Die Pangas fahren auch als Wassertaxis durch die Gegend und für uns ist es ratsamer, mit ihnen in die Stadt zu fahren als mit unserem kleinen Beiboot. Die vielen Motorboote und Jet-Ski, die in der Bucht kreuz und quer fahren, erzeugen ungemütliche und unberechenbare Wellen. Am schlimmsten ist es im engen Kanal, der zum Hafenbecken führt. Auf der Strecke würden wir mit unserem Beiboot patschnass werden, erst recht, wenn wir voll beladen mit frischem Obst und Gemüse zur Muktuk zurück wollten.

Jenseits der Touristenmeilen ist Cabo San Lucas ein ruhiger gemütlicher Ort mit vielen schönen gepflegten Häusern. Wir suchen den städtischen Markt in der Hoffnung, frisches Obst und Gemüse aus der Region kaufen zu können. Aber hier gibt es seit einigen Jahren im überdachten „Mercado Municipal“ nur noch kleine Lokale, in denen man mittags essen gehen kann. Also gehen wir zum nächsten großen Supermarkt und decken uns dort mit frischen Sachen ein.

Als John Steinbeck 1940 in Cabo San Lucas ankam, bestand der Ort aus einer kleinen Ansammlung ärmlicher Fischerhütten, deren Dächer im letzten Tropensturm zerstört wurden. Was für ein Kontrast zwischen dem verschlafenen und von Depressionen geprägten Dörfchen und dem heute so quirligen und funkelnden Cabo!
Der amerikanische Schriftsteller John Steinbeck, bekannt für seine Romane „Jenseits von Eden“ und „Von Mäusen und Menschen“, begleitete 1940 seinen Studienfreund Ed Ricketts, einen Meeresbiologen, auf eine Expedition. Mit einem umgebauten Fischkutter fuhren sie von San Diego aus direkt in den Golf von Kalifornien (Sea of Cortez), um die Vielfalt der Meerestiere dieser Region zu untersuchen und zu dokumentieren. John Steinbeck verfasste danach einen Bericht über diese Wochen unter dem Titel „The Log from the Sea of Cortez“. Steinbeck hatte selbst einige Jahre Meeresbiologie studiert und beschreibt in diesem Buch kenntnisreich die Muscheln, Schnecken, Seeanemonen, Seesterne und Korallen, die sie an den Stränden bei Niedrigwasser einsammelten. Das allein wäre nur für Experten interessant, würde er nicht auch über die kleinen Ortschaften schreiben und über die Menschen, die in dieser kargen Umgebung ihr Auskommen fanden. Steinbeck hat diesen spannenden Reisebericht mit viel Humor und mit einem liebevollen Blick auf die Menschen verfasst, denen er begegnet ist. Irgendwann erinnerte ich mich, dass wir dieses Buch in unserem Bücherregal auf der Muktuk haben und begann darin zu lesen: nun begleitet es mich auf unserer Fahrt.
Von hier aus werden wir nun in den nächsten Wochen hauptsächlich in Richtung Norden fahren und ab und zu mal in Steinbecks Logbuch reinlesen, was er über die eine oder andere Ecke geschrieben hat.

San José del Cabo

Nach zwei Tagen sind wir mit dem Proviantieren und anderen Besorgungen fertig und können weiter ziehen: Ganz in der Früh gehen wir Anker auf und tuckern ein paar Seemeilen weiter zum nächsten Ort San José del Cabo. Die Küste zwischen diesen beiden Ortschaften ist fast durchgängig bebaut: große Hotelanlagen wechseln sich ab mit luxuriösen Bungalows und Villen, aus der Ferne sieht alles recht begrünt aus und als wir San José erreichen, können wir sogar Palmwälder erkennen.
Die See ist spiegelglatt, wir ankern vor der großen Mauer aus Wellenbrechern, die den Hafenbereich von San José del Cabo beschützt. Mit dem Dinghi fahren wir zur großen Marina, vorbei an einem schönen Hotel mit eigenen Stegen für kleine Motorboote. Nachdem wir unser Beiboot zwischen zwei noblen Motoryachten fest gemacht haben, spricht uns ein Angestellter der Marina an: wir müssten 70 US-Dollar zahlen, wenn wir an Land wollten. Ob wir mit der Muktuk oder mit unserem Beiboot hier anlegen, es würde keinen Unterschied machen. Wir sind sprachlos, kehren zum Dinghi zurück und überlegen, was nun aus unserem Ausflug in die Stadt werden soll. Als wir am Hotel vorbei tuckern, halten wir an und fragen den Herrn, der das Wassertaxi hütet, ob es möglich wäre, unser Beiboot hier beim Hotel zu lassen und was es kosten würde. Alles kein Problem, er würde aufpassen und hilft uns sogar, unser Dinghi sicher anzubinden. Und bezahlen müssten wir auch nichts!
Inzwischen ist es später Vormittag geworden und die Sonne brennt ordentlich vom Himmel runter: es liegt noch ein langer Weg in die Stadt vor uns. Erst einmal müssen wir das große Hafenbecken umrunden und laufen an unzähligen Stegen der Marina vorbei, wo dicht an dicht die schicken Motoryachten der vielen Hochseeangler liegen. Metallskulpturen schmücken den Fußweg. San José del Cabo ist ein Künstlerort, das sieht man bereits hier.

Endlich finden wir auch den Weg zum Strand und der großen Lagune mit den Palmwäldern, die wir zuvor durchs Fernglas gesehen hatten.

Die Schildkröten zeigen sich heute nicht, es ist ihnen vermutlich genauso heiß wie uns auch. Aber einige Wasservögel lassen sich von Andreas sehr gerne fotografieren.

Der große Sandstrand ist leer, wir begegnen nur einem einzelnen Spaziergänger und einer junge Frau, die einen Reitausflug gebucht hat. Auch am Strand vor dem großen Hotelviertel sieht man nur hier und da ein paar Urlauber in der Sonne sitzen.

Im Zentrum von San José del Cabo sind dann doch ein paar Touristen unterwegs. Auf dem großen Platz vor der Kirche herrscht geschäftiges Treiben: Buden werden um einen großen Weihnachtsbaum aus Plastik aufgebaut. In den umliegenden Straßen haben sich zahlreiche Galerien für Kunst und Kunsthandwerk angesiedelt, dazwischen befinden sich schöne Cafés und Restaurants. Hier könnte man stundenlang flanieren. San José, die kleinere und ruhigere Schwester des wuseligen Cabo San Lucas, ist ein angenehmer Ort zum Verweilen und Genießen.

Faltboot oder Kamele? Für den Rückweg buchen wir ein Uber-Taxi.

Abendstimmung am Ankerplatz bei San José del Cabo:

Kleine Dörfer und große Buchten an der Außenseite der Baja California

17. November – 03. Dezember 2021

Von der Islas San Benitos segeln wir zur Nachbarinsel Cedros für einen kurzen Zwischenstopp über Nacht. Wir sehen noch die letzten Sonnenstrahlen auf den Felsen als wir den Anker werfen.

Bahia Tortuga

Der angesagte Nordwind reicht aus, um uns zur Bahia Tortuga zu bringen. Unterwegs haben wir immer mal wieder gute Sicht auf die beeindruckende Küstenlandschaft.

Mit dem letzten Tageslicht fahren wir in die Bucht und ankern erst einmal vor dem Dörfchen. Wir suchen uns ein Plätzchen zwischen den vielen Bojen, die die Fangkörbe für die Langusten markieren.
Am nächsten Tag fahren wir mit dem Beiboot an Land und spazieren durchs Dorf. Wo im Allgäu Geranien vor den Fenstern hängen würden, sind es hier Ansammlungen verschiedenster Kakteen, die die Veranda des einen oder anderen Hauses schmücken. Im Supermarkt holen wir eine Tasche voll frisches Gemüse. Mobilfunk gibt es hier zwar, aber keine Internetverbindung übers Handy. In einem kleinen Laden stehen drei Computer, wie in „alten Zeiten“ bezahlen wir für eine halbe Stunde Internet. Wir brauchen die Wettervorhersage und sind auch brennend an den neuesten Nachrichten aus Europa und der Welt interessiert.

Später fahren wir mit der Muktuk ein Stück weiter in die Bucht hinein und ankern vor einem langgezogenen Strand. Ab und zu sieht man ein Auto am Strand entlang fahren, ein Pickup parkt in einer Ecke. Andreas fährt bei Niedrigwasser mit dem Beiboot an Land, er hofft, ein paar Muscheln ausgraben zu können. Die beiden Männer im Pickup sind Ranger, Strandwächter von der Fischerei-Kooperative. Leider dürfen wir keine Muscheln ernten, aber dann fragen sie, ob Andreas denn welche haben will. Sehr gerne! Andreas kommt mit ein paar von den großen runden Muscheln zurück an Bord. Und mit einer Einladung für den nächsten Tag, zu einem weiter entfernten Strand zu fahren, wo es Felsenaustern gibt.

Hier ist es wirklich schön, hier bleiben wir ein paar Tage. Andreas angelt Sardinen vom Boot aus, die wir mittags in der Pfanne braten, dann schwimmen und jagen einen ganzen Tag lang Schweinswale in der Bucht den Sardinen hinterher. Immer mal wieder hört man ihr lautes Prusten ums Schiff herum. Zunächst dachten wir, es wären Delfine. Für ungeübte Augen sind sie schwer zu unterscheiden: Schweinswale (Wikipedia: Schweinswale) sind etwas größer als Delfine und sie bewegen sich auch etwas langsamer, haben wir den Eindruck.
Die Fischer sind jeden Tag mit ihren Netzen in der Bucht unterwegs, hunderte Möwen und Pelikane fliegen um sie herum, jedes Mal ein großartiges Schauspiel.

Punto Abreojos

Zur nächsten Bucht schaffen wir es mit einer Nachtfahrt. Abreojos, heißt: halt die Augen auf, denn hier gibt es bei der Einfahrt ein paar gefährliche Felsen unter Wasser. Weiter drinnen in der Lagune versammeln sich in der Winterzeit die Grauwale, um ihre Jungen in diesem geschützten Bereich zur Welt zu bringen. Wir sind noch etwas früh dran, Touren zu den Walen gibt es erst ab Mitte Dezember und die nur mit zertifizierten Führern. Immerhin haben wir draußen auf dem Meer schon Wale in der Ferne blasen gesehen!

Die Fischereikooperative hier in Abreojos besitzt eine große Flotte an Booten. Ständig brausen sie an uns vorbei und winken uns zu. Am Stand fährt ein Traktor hin und her, der die Boote aus dem Wasser und etwas höher aufs Trockene zieht. Dem Dorf sieht man an, dass die Fischer ein gutes Einkommen erwirtschaften: eine schöne gepflegte Strandpromenade, parallel dazu eine Straße mit einem Grünstreifen mit blühenden Sträuchern. Wir bewundern die Häuser an der Strandpromenade mit ihren großen Veranden und Vorgärten, von wo aus ihre Bewohner einen fantastischen Blick aufs Meer haben.

Unser Beiboot ist auf dem Rückweg zur Muktuk voll beladen mit sechs 10l-Kanister voll Wasser und ein paar Taschen voller Obst und Gemüse. Außerdem haben wir das Beiboot nicht ganz prall aufgepumpt, weil es schon wieder ein neues Leck hat. Obwohl die Wellen gar nicht so hoch sind, schwappen doch drei von ihnen ins Beiboot und wir kommen nicht ganz trocken durch die Brandung. An Bord muss ich Salat, Möhren und Kartoffeln aus den Plastiktüten voller Salzwasser fischen und gründlich abtrocknen.

Bahia Magdalena

Unser letzter Stopp auf der Außenseite der Halbinsel Baja California ist die Bahia Magdalena. Vor der Einfahrt in die Bucht ziehen Wale vorbei und in der Ferne sehen wir einige Hochseeangler. Und auch wir haben Glück und bekommen einen schönen Gelbflossen-Thunfisch an die Angel. Der kämpfte ganz lange am Haken bis er endlich müde wurde und wir ihn mit dem Gaff reinholen konnten. Wir können uns schon gar nicht mehr erinnern, wann wir den letzten hatten, es müssen Jahre her sein.

In der Bahia Magdalene bleiben wir ein paar Tage an einem schönen Ankerplatz. Das Wasser ist warm und ruhig, wir können unsere Runden ums Schiff schwimmen. Fischerboote fahren täglich durch die Bucht und untersuchen ihre Körbe, ob sie Oktopusse gefangen haben.

Der Spaziergang am Strand ist spannend: tausende Muscheln in allen Größen und Arten, mumifizierte Kugelfische, Knochen von Delfinen, Panzer von Seeschildkröten und vieles mehr. Eigentlich habe ich schon viel zu viele Steine und Muscheln an Bord, kann aber nicht widerstehen, doch ein paar mitzunehmen.


Ein kleiner mumifizierter Kugelfisch
Ein großer Kugelfisch, das Skelett ohne die stachelige Haut


Panzer einer SchildkröteKnochen vom Bauch einer Schildkröte
Steckmuschel
Mehrere Lagen Muscheln als Sedimente

An einer Stelle des Ufers sind viele große Steine, die beim Niedrigwasser herausragen. Wir schauen nach, ob dort ein paar Felsenaustern wachsen. Ja, die gibt es, aber dann fällt mir auf, dass einige der Steine eine ungewöhnlich spitze Form haben. Ich kratze ein bisschen daran und diese Steine fangen an, Wasser zu spritzen: es sind riesige schwarze Miesmuscheln, bestens getarnt durch die moosartigen Algen, die auf ihnen wachsen. Ein paar davon nehmen wir auch mit. Bevor sie in den Kochtopf wandern, müssen wir sie aber gut mit der Bürste bearbeiten und Napfschnecken und Seepocken von der Schale abkratzen.

Zwischen der Bahia Magdalena und dem Kap von San Lucas ganz an der Spitze der Halbinsel gibt es keinen weiteren geeigneten Zwischenstopp. Daher beobachten wir das Wetter und rechnen uns aus, wann wir lossegeln müssen, um zwei Tage später bei Tageslicht anzukommen. Die Tage werden auch hier Anfang Dezember immer kürzer. Die Sonne geht morgens gegen 7:00 Uhr auf und bereits um 17:30 wieder unter. Damit unsere Rechnung aufgeht, beschließen wir, bereits in der Nacht aufzubrechen.


Trockenfisch

Grossputz

Leuchttürme und Langusten – Die Islas San Benitos

09. – 15. November 2021

Endlich darf die Muktuk wieder vor Anker schaukeln! Vor uns karg bewachsene Felsen, die in der Abendsonne goldbraun leuchten, ein gedrungenes Gebäude hoch oben auf dem Berg dient als Leuchtturm. Seelöwen brüllen, durchs Fernglas sehen wir die große Kolonie in der Sonne liegen. Sie bevorzugen die von Wind und Wellen geschützten Stellen am Ufer. Ab und zu hört man zwischen den lauten klagenden Rufen der Seelöwen eine Art Schnarren: das müssen die See-Elefanten sein, die es hier auch geben soll. An einer kleinen durch Felsen geschützten Bucht der Insel, wo die Brandung weniger stark heran rauscht, sind ein paar Häuschen zu erkennen.

Zwei Tage und zwei Nächte sind wir von Ensenada bis zu den Islas San Benitos gesegelt: Mit ausgebaumter Genua und Fock als Schmetterling bei achterlichem Wind konnten wir am ersten Tag teilweise mit bis zu 8 Knoten sausen! Die letzten Stunden allerdings mussten wir bremsen, um nicht mitten in der Nacht anzukommen. Mit verkleinertem Segel auf 3-4 qm machten wir immer noch 4 Knoten Fahrt!

Nachdem der Anker gefallen ist, stellt sich das befreiende Gefühl ein, wieder draußen zu sein. Die Aussicht auf ein paar ruhige Tage in dieser hübschen Bucht stimmt uns geradezu euphorisch.

In einem offenem Boot mit starkem Außenbordmotor kommen zwei Fischern vorbei, dick verpackt in Ölzeug. Sie begrüßen uns und fragen, wie lange wir hier bleiben werden. Im winzig kleinen Ort sind acht Leute stationiert, erfahren wir: vier „pescaderos“ und vier „vigilantes“, Fischer und Wächter.

Segelfreunde, die wir in Ensenada in der Marina kennen gelernt haben, kommen am nächsten Tag an und wir freuen uns sehr, sie wieder zu sehen. In den nächsten Tagen fahren Gilbert und Andreas mit Israel und Ulisses, zwei der Wächter, zum Fischen raus und kommen mit einer beachtlichen Menge an Fischen zurück. Für den Abend werden wir alle zum Essen bei den Fischern an Land eingeladen.

Die Fischer haben es sich hier in 2-3 Häusern gemütlich gemacht, der Rest der Gebäude ist unbewohnt und verfällt. Ein Generator brummt laut, die kleine Kirche ist mit ein paar elektrischen Kerzen beleuchtet. Die früheren Bewohner des Dörfchens sind mittlerweile alle auf die benachbarte Insel Cedros gezogen, dort gibt es Telefon und Internet und das Festland ist nicht ganz so weit.

Die Fischer von San Benitos und Cedros sind in einer Genossenschaft organisiert. Ihr Gebiet haben sie vom Staat gepachtet und führen dafür Abgaben ab: ihr Hauptgeschäft sind die Langusten, die sie für gutes Geld nach Europa und China verkaufen können. Diese Genossenschaft besteht aus ca 80-90 Mitglieder und ist streng organisiert. Um beitreten zu können, muss man sich erst ein paar Jahre lang als Angestellter bewähren und braucht dazu noch einen Fürsprecher. Alkohol während der Arbeitszeit ist verboten. Und mit Arbeitszeit sind die vollen 15 Tage gemeint, die die Männer abwechselnd entweder als Fischer oder als Wächter auf den jeweiligen Stationen der beiden Inseln verbringen. Wir erleben sie als eingeschworene und stolze Gemeinschaft. Auf Nachfrage versichert jeder einzelne von ihnen, dass er sich keinen anderen Beruf vorstellen mag und um wie viel lieber er hier draußen arbeitet als in einer lauten staubigen Stadt.

Wir werden köstlich bekocht von Israel. Er steht am Herd, wendet den frisch gefangenen Kingfish in der Pfanne und kommt kaum nach, alle Teller zu füllen. Dazu gibt es frischen Salat, Reis und Tortillas. Wir erfahren, dass Ulisses an diesem Tag seinen 20. Geburtstag feiert. Wie gut, dass wir Segler zum Nachtisch Kuchen mitgebracht haben.


Israel: Fischer, Wächter und passionierter Koch


Das Geburtstagskind: Ulisses, Zweiter von rechts im weißen Pullover

Unsere Segelfreunde stammen ursprünglich aus Puerto Rico, Spanisch ist ihre Muttersprache, das erleichtert die Kommunikation mit den Fischern ungemein. Wir versuchen zwar, so gut es geht, dem schnellen mexikanischen Spanisch unserer Gastgeber zu folgen, aber ab und zu müssen unsere Freunde doch übersetzen. Es ist eine fröhliche Runde: wir fragen viel und auch die Fischer möchten so einiges erfahren über das Leben als Segler und die Länder, aus denen wir stammen. Dieser Abend ist ein ganz besonderer für uns und wir freuen uns sehr, dass wir diese Einladung erhalten haben!

Für den nächsten Tag sind wir mit unseren Freunden zu einer Wanderung zu den Leuchttürmen verabredet. Etliche Fußwege durchziehen das auf den ersten Blick unwegsame Gelände. Ein geschlängelter Pfad führt den Berg hoch, die Sicht auf die vielen kleinen Buchten der Insel wird immer besser.

Wir müssen besonders gut auf den Weg achten, denn überall liegen lose kleine Kaktusbällchen herum, deren Stacheln sich nicht nur an den Schuhen und Socken fest haken, sie können auch die Schuhsohlen durchbohren. Ich bin immer noch fasziniert von den vielen Kakteen und Sträuchern, die sich in dieser trockenen Umgebung behaupten.

Wir erreichen den ersten Leuchtturm, den wir schon vom Ankerplatz aus sehen konnten. Er funktioniert momentan aber nicht, irgendein Problem mit den Batterien.

Zwei Leitern führen auf die obere Plattform, von wo aus wir den perfekten Rundblick haben. Greifvögel kreisen in den warmen Aufwinden, die Raben sind weniger scheu und streiten sich um den besten Platz auf dem umlaufenden Geländer.

Wir beschließen, auch zum alten Leuchtturm zu laufen, der auf der Nordseite der Insel auf halber Höhe steht.

Er wurde in den 1930er Jahren gebaut und ist schon lange nicht mehr im Betrieb. Überall liegen Glasscherben der zerborstenen Fensterscheiben herum, viele Geräte und Halterungen sind verrostet, aber das Gebäude selbst ist kaum beschädigt. Schade, dass dieser Leuchtturm nicht mehr in Betrieb ist, denn er ist um so vieles solider gebaut und auch schöner als der neue hoch oben auf dem Berg.

Auch von hier hat man einen herrlichen Blick aufs Meer und wir stellen uns vor, dass sich in der schönen schattigen und windgeschützten Veranda eine Bar einrichten ließe. Die Lage wäre perfekt dafür geeignet.

Wir steigen eine breit angelegte Wendeltreppe im Turm des Leuchtturms hoch, das Licht fällt durch große runde Fenster rein. Die Fresnel-Linse des Leuchtfeuers ist noch fast komplett erhalten, vorsichtig laufen wir herum, bewundern diese Konstruktion und versuchen herauszufinden, wofür die anderen verrosteten Gerätschaften dienten, die in dem Raum herum stehen.

Nach so vielen Tagen an Bord tut die Bewegung richtig gut. Am liebsten würde ich am darauffolgenden Tag noch einmal loswandern, aber wir müssen weiter, die Wettervorhersage hat günstigen und vor allem ausreichenden Wind gemeldet.

Día de los muertos: Allerheiligen und Allerseelen in Mexiko

Día de los muertos: die drei Tage von Allerheiligen bis Allerseelen (31. Oktober – 2. November) sind wichtige Feiertage in Mexiko. An diesen Tagen gedenken die Familien ihrer Verstorbenen. Diese, so glauben sie, kehren einmal im Jahr zurück, um gemeinsam mit den Lebenden zu essen und zu feiern. Am 1. November wird an die verstorbenen Kinder erinnert, am 2. November dann an die Erwachsenen. Altäre werden in den Häusern aufgebaut, vereinzelt auch auf öffentlichen Plätzen oder Läden. Die Lieblingsspeisen der Verstorbenen werden zubereitet und auf den Altar gestellt zusammen mit dem „Pan de muerte“, einem Hefeteigbrötchen mit Anisgeschmack. Auf den Altar gehören auch Fotos und Sachen, die an die verstorbenen Menschen erinnern sollen, aber auch Gegenstände, die die Vergänglichkeit symbolisieren. Geschmückt wird alles mit buntem bemustertem Papier.

Die gelben und orangen Blüten mit ihrer leuchtenden Farbe weisen den Verstorbenen den Weg zu ihren Verwandten und Freunden. Es ist ein fröhliches Fest, so erzählt man uns. In einigen Teilen Mexikos werden sogar große Umzüge an diesen Tagen veranstaltet, es wird musiziert, getanzt und gesungen und oftmals ziehen lange Prozessionen von Menschen durch die weit geöffneten Kirchen.

Eine Besonderheit im Rahmen dieser Feierlichkeiten sind einzelne Figuren, die im Laufe der letzten Jahrhunderte im Rahmen dieses Totenkultes in der mexikanischen Gesellschaft einen Platz gefunden haben. Unter anderem ist das die edel gekleidete Dame Catrina, ein Skelett im Rüschenkleid und breitkrempigem Hut und der passende Herr dazu, der Garbancero. (Wikipedia)

In Ensenada geht es etwas stiller zu, diese Tage werden überwiegend im privaten Rahmen zu Hause gefeiert. Aber es gibt für uns doch ein bisschen was zu sehen. Am 31. Oktober abends ziehen ein paar Kinder in Kostümen in Begleitung ihrer Eltern umher, das amerikanische Halloween mit „trick and treat“ hat sich hier wohl auch schon ausgebreitet.

Am 1. November findet ein Wettbewerb statt: die schönste Catrina und der am schönsten dekorierte Altar werden prämiert. Veranstalter ist die Technische Universität gemeinsam mit dem Kulturzentrum von Ensenada. Auf der Plaza Santo Tomas in der Innenstadt werden schon am Vormittag Zelte aufgebaut und Stühle aufgestellt. In einer der großen Hallen, die der Weinkellerei gehören, sind viele junge Leute damit beschäftigt, Altäre mit bestimmten Themen für den Wettbewerb zu dekorieren.

Am Nachmittag dann versammeln sich die ersten Besucher, einige Damen tragen Haarreifen mit Papierblumen dekoriert, die ersten Catrinas und Garbanceros erscheinen und holen sich ihre Wettbewerbsnummer ab. Wir dürfen, wie alle anderen Besucher auch, viele Fotos von ihnen machen!

Welche der Damen nun den Hauptpreis erhalten hat, können wir leider nicht berichten, denn wir sind nicht bis zum Ende der Veranstaltung geblieben. An diesem Abend war auch eine Party am Steg geplant mit vielen Seglern, der erste Potluck nach langer Zeit mal wieder.

Langsam macht sich in der Marina Aufbruchstimmung breit: In den letzten Wochen haben wir hier im Hafen einige sehr nette Seglerinnen und Segler kennen gelernt, die gleichzeitig mit uns in Richtung Süden wollen und die wir auf dem Weg zum Golf von Kalifornien und auf den dortigen Ankerplätzen ganz bestimmt wieder sehen werden. Darauf freuen wir uns schon sehr! Wir werden aber auch von ein paar lieb gewonnenen Menschen Abschied nehmen, die in Ensenada bleiben.

Nationalpark San Pedro Martir

Es ist wieder einer dieser Tage mit einem strahlend blauen Himmel. Wir fahren durch eine hügelige Landschaft mit verdorrten Sträuchern, die Erde ist braun bis grau und steinig. Neben der Straße verläuft ein ausgedörrtes Flussbett, das manchmal von Bäumen gesäumt wird, und die tragen erstaunlicherweise grüne Blätter. Aber unter der alles bedeckenden Staubschicht erscheinen auch diese Blätter grau. Wäre da nicht die asphaltierte Bundesstraße mit den riesigen LKWs, die an uns vorbei donnern, könnte man meinen, es würden gleich ein paar Cowboys auf ihren Pferden die Hänge herunter geritten kommen: Es ist die perfekte Kulisse für einen Western. Fehlt nur noch die passende Musik dazu.

Es dauert aber eine Weile, bis sich die Landschaft so menschenleer und wüst zeigt. Fährt man aus Ensenada raus auf die Bundesstraße Nr. 1 der Halbinsel Baja California, in Richtung Süden, ist die Straße noch dicht bebaut mit Einkaufszentren, kleinen Läden und Werkstätten aller Art, riesigen verstaubten Autofriedhöfen. Dann kommen die Gewächshäuser und Felder, auf denen Arbeiter die Zucchini, Tomaten und Spargel ernteten, das Gesicht mit Tüchern verhüllt und breiten Hüten gegen die sengende Sonne.

Nach etwa 85 Kilometer erreichen wir mit unserem kleinen Mietwagen die Abzweigung zum Nationalpark San Petro Martir. (Wikipedia) Von hier aus geht es, ebenfalls auf einer recht gut ausgebauten asphaltierten Straße, noch einmal rund 100 Kilometer landeinwärts. Wir kommen nicht mehr so schnell voran, die Straße ist kurvenreich, wir müssen einige Bergketten überwinden, immer höher hinauf. Zuerst fahren wir noch durch zwei kleine Siedlungen, danach ist nur noch vereinzelt ein verlassenes verfallenes Haus zu sehen. Die Landschaft verändert sich merklich, Kaktuspflanzen machen Sträuchern Platz, die Steine werden immer größer, es wird zusehends felsiger. Irgendwann tauchen die ersten Kiefern auf, wir haben über 2.000 Höhenmeter erreicht.

Der Eingang des Nationalparks wird von Soldaten bewacht. Eine kleine Truppe ist hier stationiert, sie wohnen in einem eigenen Haus, hacken tagsüber ihr Holz und wechseln sich an der Schranke ab.

Wir melden uns beim Büro an, bezahlen unsere Gebühren und erhalten den Schlüssel für die vorab reservierte Hütte. Diese liegt inmitten hoher Kiefern und Tannenbäumen: darin zwei Stockbetten, ein kleines Bad, eine Küchenzeile und das Beste: ein Holzofen mit einem Stapel Feuerholz daneben. Wir haben alles mitgebracht, was wir brauchen: Schlafsack, Decke, Lebensmittel und Trinkwasser.

Neben der Hütte finden wir eine gemauerte Grillstelle und eine Feuerstelle, geschützt durch einen großen ebenfalls gemauerten Ring. Gleich laufen wir los und sammeln Holz. Davon gibt es wirklich genug, trocken und gut abgelagert. Die vielen Kiefernzapfen eignen sich hervorragend zum Anzünden, sie knistern und sprühen aber auch so herrliche Funken, wenn man sie zwischendurch ins Feuer wirft.

Wir erkunden die nächste Umgebung, es ist ein Zeltplatz, eigentlich nur daran erkennbar, dass sich ein paar sandige Wege zwischen den Bäumen schlängeln und ab und zu eine Feuerstelle mit einer Bank dazu auftaucht. Man verliert schnell die Orientierung, das Gelände ist riesig. Es ist herrlich hier, diese frische Luft mit dem intensiven Duft der harzigen Kiefern, das klare Licht der Nachmittagssonne. Wir sind begeistert.

Abends sitzen wir ganz nah am Feuer, denn sobald die Sonne untergeht, wird es empfindlich kalt im Gebirge. Nach den vielen Wochen in der lauten Marina genießen wir die Stille und Ruhe. Wir sind nicht allein da, aber es scheint als ob die Geräusche vom Wald verschluckt werden, wir hören nur das Knistern und Knacken der brennenden Holzscheite. Am klarer Nachthimmel können wir die Milchstraße ganz deutlich sehen, selbst mit dem Streulicht unseres Lagerfeuers. Wir laufen ein Stück die Straße hoch, weg vom Feuer, um noch mehr Sterne sehen zu können. Sogar ein paar Sternschnuppen zeigen sich. Es ist wirklich der ideale Ort für eine Sternwarte: wenige Kilometer weiter auf einem der Gebirgskämme befinden sich einige Observatorien. So weitab von jeglicher Zivilisation und deren Lichtverschmutzung herrschen perfekte Bedingungen für ihre Arbeit. Normalerweise können sich Besucher zu Führungen anmelden, wegen der Pandemie aber ist es leider nicht möglich, das Gelände wird weiträumig abgesperrt und ebenfalls von Soldaten bewacht.

Am nächsten Tag machen wir uns gleich nach dem Frühstück auf den Weg zu einer Wanderung. Der Wald ist trocken, keine Wildbäche, keine Wasserfälle, wie wir es von den Alpen kennen. Und doch wachsen hier viele Blumen und Sträucher zwischen den Felsen und leben hier viele Tiere, die sich an diese Bedingungen angepasst haben.

Es ist auch die Heimat des kalifornischen Kondors (Wikipedia), der etwas kleinere Bruder des Anden-Kondors und damit der zweitgrößte Vogel der Erde. Er war in der freien Wildbahn seit den achtziger Jahre ausgestorben und lange Zeit nur noch in einigen Zoos zu finden. Aufzucht-Stationen in den USA konnten den Kondor erfolgreich vermehren und nach und nach Vögel wieder auswildern. Der Kondor ist zwar immer noch im Bestand gefährdet, aber es gibt nun tatsächlich eine stabile Anzahl an Vögeln in den Gebirgen Kaliforniens. Wir haben Glück und sehen einen von ihnen hoch oben am Himmel langsam seine Kreise drehen.

Je höher wir kommen, umso schöner wird die Aussicht auf das gewaltige Gebirgsmassiv San Pedro Martir. Mit jeder Wegbiegung erscheint eine neue interessante Steinformation, entdecken wir neue Blumen und Sträucher unter den Bäumen.

In der Ferne, auf dem gegenüberliegenden Höhenkamm sehen wir das große Observatorium und weiter verstreut in der Landschaft ein paar kleinere.

Der Weg führt über ein kleines Plateau und auf einmal befinden wir uns in einem Birkenwald, die Blätter in ein leuchtendes herbstliches Gelb gefärbt.

Kurz darauf erreichen wir den ersten Aussichtspunkt: Eine stählerne Plattform mit Gitterboden, die einen spektakulären Rundumblick bietet. An klaren Tagen soll man bis zur anderen Seite der Baja California, bis zum Meer, sehen können. Leider können wir mit der Kamera die Tiefe und Weite der Landschaft nicht wirklich einfangen.

Für unsere Mittagsrast laufen wir noch ein Stück weiter und setzen uns an einen von der Sonne gewärmten Felsen mit Blick auf ein wildes Seitental.

Auf dem Rückweg kommen uns Wanderer entgegen: es ist Samstag und viele Familien und organisierte Gruppen sind unterwegs.

An unserem letzten Morgen sitzen wir noch lange draußen in der Sonne, trinken Tee und beobachten die putzigen Streifenhörnchen (Wikipedia) die ich Anfangs für eine kleinere Art von Eichhörnchen gehalten hatte. Sie huschen so schnell über den Boden, dass man sehr genau hinsehen muss, um ihre Streifen zu erkennen. Mit viel Geduld und ganz viel Stillsitzen gelingt es uns, sie näher kommen zu lassen, so dass Andreas ein paar Fotos von ihnen machen kann.

Auf dem Rückweg halten wir immer wieder an und versuchen, diese großartige menschenleere Landschaft wenigstens ansatzweise mit dem Fotoapparat festhalten zu können.

Rund vierzig Kilometer vor Ensenada kommen wir wieder durch die weite Ebene mit den endlos erscheinenden langen Reihen mit Weinstöcken – es ist das älteste Weinanbaugebiet Mexikos. Schilder zeichnen die „Ruta antigua del vino“, die „Alte Weinstraße aus. Nach einem kurzen Abstecher zu Santo Tomas, der bekanntesten Weinkellerei in dieser Ecke, beschließen wir unseren Ausflug.