Kupfer in Santa Rosalia

Im Jahre 1868 entdeckte José Rosas Villavicencio, ein mexikanischer Viehzüchter, in der Nähe des heutigen Städtchens Santa Rosalia ein paar merkwürdig aussehende Gesteinsbrocken. Er zeigte sie dem Kapitän eines in Guaymas vor Anker liegenden Schiffes, der zwei Deutsche dazu holte, um die Steine zu begutachten. Diese boten dem Bauern Geld, damit er ihnen die Fundstätte dieser Steine zeigte. Es handelte sich nämlich um Erz mit einem recht ansehnlichen Kupfergehalt von 20 bis 25%. In den folgenden Jahren wurde das Kupfererz zunächst durch ein mexikanisch-deutsches Unternehmen in geringem Umfang und nur im Tagebau gefördert, anscheinend aber mangelte es dieser Firma an fast allem: Kapital, Ausrüstung und Fachkenntnis. Ohne Hüttenwerk war es auch unrentabel, das Erz zu verschiffen, und als dann noch der fallende Kupferpreis dazukam, ging das Unternehmen 1879 pleite.


Das inzwischen nach Europa (hauptsächlich Schweden und England) exportierte Kupfererz weckte aber das Interesse der Rothschild-Familie. Zu dieser Zeit war der Weltmarkt für Kupfer von einem einzigen Hersteller bzw. einer einzigen Mine dominiert: Rio Tinto in Spanien. Rothschild beauftragte zwei französische Ingenieure damit, die Erzvorkommen in der Baja California zu untersuchen, und ausgestattet mit einem Startkapital von 12 Millionen Franc wurde die „Compania del Boleo“ als Aktiengesellschaft gegründet, die 1885 die Konzession zum Kupferabbau erhielt.

Die mexikanische Regierung versprach sich davon die Erschließung dieses bisher unbesiedelten Landstrichs und gewährte der neuen Firma Steuerfreiheit für 70 Jahre. Neben der Infrastruktur für den Erzabbau und die Kupferhütte errichtete „El Boleo“ auch Unterkünfte für die Arbeiter und französischen Ingenieure – der Ort Santa Rosalia entstand, und eine Landungsbrücke für Schiffe wurde erbaut, die Keimzelle des heutigen Hafens. 1892 hatte Santa Rosalia bereits 600 Einwohner, zwanzig Jahre später schon über 6000. Selbst eine Kirche wurde herangeschafft, aus Einzelteilen zusammengesetzt und von niemand geringerem als Gustave Eiffel entworfen. Eben genau das Richtige für französische Ingenieure!

Ende des 19. Jahrhunderts produzierte Santa Rosalia bereits 11.000 Tonnen Kupfer pro Jahr, die Hälfte der mexikanischen Produktion. Die Abbaubedingungen waren dennoch primitiv. Maschinen oder Sprengstoff kamen nicht zum Einsatz, stattdessen Handbohrer und Spitzhacke. Nur die einheimischen Yaquis aus Sonora waren der Hitze gewachsen und wurden – nur mit Lendenschurz bekleidet – unter Tage geschickt, viele erkrankten und starben aufgrund der extremen Arbeitsbedingungen.


Das Hüttenwerk war dagegen seit seiner Erbauung stets „state of the art“. Anfangs wurde das Erz nur zerkleinert und in Hochöfen verhüttet, bald kamen aber auch Konverter dazu, bei denen in das noch flüssige Rohkupfer Luft eingeblasen und die Unreinheiten damit verbrannt wurden. Am Ende blieb 98% reines Kupfer übrig, das in Barren gegossen wurde. Der als „Abfallprodukt“ entstehende Hochdruck-Dampf trieb Maschinen sowie Generatoren zur Stromerzeugung an. Die im Hochofen anfallende Schlacke wurde über Förderbänder zu einem Verladeturm am Hafen transportiert, auf Schiffe verladen und ins Meer geschüttet. Noch heute ist das Hafenbecken durch Wellenbrecher aus Schlacke geschützt.

Als nach siebzig Jahren die Steuerfreiheit von El Boleo auslief, machte die Firma 1954 dicht, die Minen wurden in Folge von mexikanischen, kanadischen und zuletzt koreanischen Betreibern weiter genutzt. Auch die Kupferhütte blieb noch bis in die 1970er Jahre in Betrieb. Das Gebäude ist mittlerweile recht verfallen, und in Deutschland wäre es aus Sicherheitsgründen sicher gesperrt und mit allerlei Zäunen umgeben. Hier in Mexiko sieht man das nicht so eng. Wir können auf dem ungesicherten Gelände herumgehen und die riesigen Anlagen und Maschinen bestaunen. Man muss eben selber zusehen, dass man nirgends einbricht und dass einem nichts auf den Kopf fällt.


Peppino, ein mittlerweile 85-jähriger ehemaliger Angestellter von El Boleo, führt uns in der Maschinenhalle herum, erklärt uns den Verhüttungsprozess und beantwortet geduldig unsere Fragen. Am Ende der Führung steigt er wieder in sein Taxi – denn aktuell verdient er mit Taxifahren sein Geld. Wir laufen noch lange in der Ruine der Anlage herum, schießen unzählige Fotos und bewundern die massiven, verrosteten Maschinenteile. Das Hüttenwerk flößt uns noch immer Respekt ein, Respekt vor der Ingenieursleistung, aber auch vor ihrer schieren Dimension. Ein befreundeter Segler, der mit uns zusammen die Anlage besichtigt, findet die passende Beschreibung: wie ein großes, mächtiges totes Tier.

Osterglocken

Ostersonntag, und keine Kirche in Sicht. Wir machen uns in voller Vormittagshitze auf den Weg, um einen kleinen Berg zu besteigen. Gleich zwei Besonderheiten führt der Revierführer hier an: im unteren Abschnitt des Pfades gibt es sogenannte Petroglyphen, das sind Steinzeichnungen, die angeblich noch von den Ureinwohnern der Halbinsel stammen sollen.

Und auf dem Gipfel hat man nicht nur einen schönen Ausblick auf die Autobahnraststätte und unseren Ankerplatz, sondern man findet hier auch „bell rocks“, Glockensteine. Diese Felsbrocken haben so einen hohen Eisengehalt, dass sie metallisch klingen, wenn man auf sie schlägt. Manche klingen wie Ambosse, andere tatsächlich wie Glocken. Aber hört selbst:

Ankern an der Autobahnraststätte

Wir hatten ja schon viele Ankerplätze, mal mehr, mal weniger malerisch. Aber an einer Autobahnraststätte geankert, das hatten wir bisher noch nicht. Hier in der Bahia Concepcion führt die mexikanische Autobahn Nummer 1 direkt am Strand entlang, und so findet der Reisende keine 50 Meter von der Autobahn entfernt sowohl ein Restaurant als auch einen Sandstrand mit ein paar Ferienhütten, der Platz dazwischen zu Ostern natürlich dicht an dicht mit Zelten aufgefüllt.

Die akustische Kulisse ist beeindruckend: um uns herum sausen Jet-Skis und Motorbötchen, am Strand tönt aus einigen Lautsprechern mexikanische Blasmusik, und zwischendurch dröhnen die Dieselmotoren der vielachsigen Lastwagen, die auf der ansteigenden Straße einen Gang herunterschalten.

Das ganze Programm wird uns natürlich nicht nur tagsüber geboten: bis morgens gegen vier Uhr läuft die Musik (die aber zumindest ab zwei Uhr zwar nicht leiser, aber schöner wird), und die Laster sind auch die ganze Nacht hindurch unterwegs.

Für uns erst einmal genug Zivilisation. Am nächsten Tag ankern wir um.

Bald auch Pinguine?

Was ist denn da schiefgelaufen? Hier sollten doch selbst im Januar mindestens 20°C herrschen und nicht Temperaturen unter Null!

Aber die Bilder sprechen für sich. Die vom Reif überzogene Vegetation. Die dünne Schneeschicht über den Steinen am Ufer. Die schneeverwehten Pfähle. Die Eisdecke auf dem Wasser in Ufernähe. Und die weiter draußen treibenden Eisbrocken.



Müssen wir bald nach Eisbären Ausschau halten? Oder kommen bald die Pinguine?


Ganz ehrlich – wir haben nicht etwa unsere Fotos aus Alaska hier eingeschmuggelt. Diese Bilder sind wirklich im Januar im Golf von Kalifornien entstanden. Doch die im Sonnenlicht funkelnden Kristalle auf den Bildern bestehen nicht aus Eis, sondern aus Salz.

Auf der Isla Carmen gegenüber von Loreto gibt es eine aufgelassene Saline. Die Salzgewinnung hat sich irgendwann in den 1980ern nicht mehr rentiert, die Siedlung ist verlassen und der ganze Maschinenpark rostet vor sich hin. Aber die Salzseen sind geblieben, und das langsam verdunstende Seewasser hat diese wunderschönen schneeweißen Kristalle gebildet.

Ein paar faustgroße Brocken nehmen wir als Andenken mit. Die einzelnen würfelförmigen Salzkristalle sind bis zu 2 cm groß, mit spiegelglatten Flächen und in genau festgelegten Winkeln zueinander versetzt. Edelsteine, die salzig schmecken.

Ach ja – ein paar Raumschiffe haben wir hier auch gesehen…

Geflügel

Während die Tiere an Land wegen der Trockenheit ums Überleben kämpfen, scheinen die Seevögel hier üppig mit allem Nötigen ausgestattet zu sein. Jedenfalls sind Artenvielfalt und die Anzahl der Tiere enorm.




Am auffallendsten sind die Pelikane. Was der Nordseeküste ihre Möwen, sind hierzulande die Pelikane – allgegenwärtig und schön anzusehen. Außer man hat den Fotoapparat gezückt, dann kommen natürlich stundenlang keine. Im Gegensatz zu Möwen sind sie überdies leise und nicht ständig am Schimpfen und Zetern.

Sie haben zwei typische Formen der Fortbewegung. Im Streckenflug bilden sie oft Formationen von bis zu einem Dutzend Vögeln, die so dicht über die Wasseroberfläche gleiten, dass ihr Bauchfell bestimmt kitzeln muss (Bauchfell? Na ja, die Federn unten eben). Schön, das machen Sturmvögel auch, und sogar bei mehr Wind und Welle, aber wenn diese großen, doch eher klobigen Pelikane so präzise manövrieren, sieht das schon haarsträubend aus. Etwa so, als hätte James Bond bei der Verfolgungsjagd durch die verwinkelte Altstadt von Nizza seinen Aston Martin gegen einem Linienbus der Stadtwerke Fulda eingetauscht.


Das andere Flugverhalten der Pelikane ist der Sturzflug, wenn sie bei der Jagd auf Sardinen oder andere kleine Fische scharenweise senkrecht ins Wasser schießen und erst im letzten Augenblick ihre Flügel anlegen. Da ihre Beute sich meist in recht flachem Wasser aufhält, wundern wir uns, ob die Pelikane immer die Wassertiefe richtig einschätzen. Ein Fehler, und der Vogel würde mit dem Schnabel im Sand steckenbleiben. Aber sie scheinen doch eine Menge Übung zu haben, in der Literatur findet man wenig über Pelikanriffe.



Möwen gibt es natürlich auch (von ähnlich zänkischem Charakter wie ihre Artgenossen an der Nordsee), dazu Kormorane, Reiher und Blaufußtölpel. Am Ufer spazieren Strandläufer und Austernfischer, hoch am Himmel ziehen die Fregattvögel ihre Kreise. Weil sie selber nicht vom Wasser starten können, jagen sie anderen Vögeln ihre Beute ab – immer ein spannendes Spektakel.

Unsere Lieblinge sind allerdings recht kleine, schwarz-weiß gefärbte Vögelchen, deren Namen wir leider (noch) nicht kennen. Vom Aussehen und Verhalten ähneln sie den Tauchsturmvögeln oder Krabbentauchern, die aber hier nicht vorkommen (die einen gibt’s nur auf der Südhalbkugel, die anderen nur im Atlantik). Jedenfalls sitzen die kleinen Kerlchen zu mehreren Dutzenden eng zusammen wie ein Teppich auf der Wasseroberfläche. Wenn man eine Weile hinschaut, macht es schwupp! Und der erste ist weg. Und gleich schwupp! der zweite. Schwupp! schwupp! schwupp! und ehe man sich’s versieht, ist der ganze Teppich komplett verschwunden. Die Wasseroberfläche ist leer! Erst trauen wir unseren Augen nicht – war es eine Sinnestäuschung? Da waren doch gerade noch massenweise Vögel? Eine halbe Minute passiert erst einmal nichts. Oder eine ganze. Da taucht plötzlich, an einer ganz anderen Stelle auf dem Wasser, vielleicht hundert Meter weiter, schwupp! ein Vögelchen auf. Schwupp! ein zweites, und schwupp! schwupp! schwupp! ist der ganze Teppich wieder da, als wäre nichts geschehen.

Von fliegenden Teppichen hört man ja öfter. Aber tauchende Teppiche sind doch etwas ganz Besonderes.

Karg

So richtig vorstellen konnten wir uns das nicht, als wir von Deutschland kommend mit dem Flieger den Golf von Kalifornien auf dem Anflug auf Tijuana überflogen und hinabsahen. Also damals, vor über fünf Monaten, als Alpha noch die „britische Variante“ und Delta der neueste Schrei war.

Jedenfalls schauten wir aus dem Flugzeugfenster und sahen neben dem blauen Meer nur braune und graue Farbtöne, nichts Grünes. Schrecklich eintönig sah das aus, schroffe Gebirge ohne Bewuchs im Wechsel mit ebenen sandigen Flächen, die eher staubig als einladend aussahen. Welch ein Unterschied zu den Wäldern Nordamerikas, der üppigen tropischen Vegetation der Südsee, den Bergwiesen Südtirols. Und da wollen wir die nächsten Monate, vielleicht sogar das nächste Jahr verbringen? Da gibt es doch außer See, Sand und Steinen nichts.


Ganz falsch gedacht. Zugegeben, die Landschaft ist karg. Und hat doch so viel zu bieten. Das fängt mit dem Gestein an den Küsten an, das sich teils vielfarbig geschichtet, in aufgebrochenen Sedimenten zu steilen Abbruchkanten aufschiebt. An manchen Orten sind unzählige versteinerte Muscheln in die Sedimente eingearbeitet, an anderen Stellen ragen schroffe Felsen aus vulkanischem Material empor. An einem Ort finden wir sogar meterbreite Adern aus Obsidian im Felsen eingebettet. Aus weicherem Gestein hat die See Höhlen ausgewaschen oder skurril geschwungene Skulpturen übriggelassen. Am Strand entdeckt man Achate unter den Kieseln, wenn man genau hinschaut.






Die Gebirgszüge der Sierra de la Giganta bieten uns fast täglich eine imposante Kulisse. Je nach Wetterlage entweder als gestochen scharfe Silhouette gegen den stahlblauen Himmel oder in abgestuft im Dunst verschwindenden mehrlagigen Zügen. Im Licht der niedrigstehenden Sonne bei ihrem Auf- oder Untergang erstrahlen die näher liegenden Hänge in leuchtendem Dunkelrot, an dem wir uns nicht sattsehen können. Die Fotos geben dieses Farbenspiel leider nur unvollkommen wieder.






Aber es gibt nicht nur Stein und Staub. So wenig Wasser auch zur Verfügung steht, etliche Pflanzen ringen der Natur doch genügend Feuchtigkeit zum Überleben ab. Unzählige Kakteenarten, aber auch andere Sukkulenten und Blattpflanzen trotzen der Trockenheit. Auf fast jedem Landspaziergang entdecken wir Pflanzen, die wir zuvor noch nicht gesehen hatten. Und wenn wir hin und wieder etwas frisches Grün oder eine kleine bunte Blüte inmitten der grauen Stachelwüste finden, kommen sie uns gerade durch den Kontrast besonders kostbar vor.

Stacheln

An Stacheligem hat dieses Land einiges zu bieten – über und unter Wasser.

Seeigel sind ja nichts ungewöhnliches, aber Kugelfische trifft man doch eher selten an. Hier im Golf von Kalifornien kann man dagegen kaum einen Strandspaziergang machen, ohne auf eines ihrer typischen Skelette zu treffen. Eines davon musste sogar als Weihnachtsdekoration herhalten. Die Idee war, die Stacheln als Kerzenhalter zu nutzen, was dem Tier dann aber doch mangels geeigneter Kerzen erspart blieb.

In unserem Fangkorb für Krebstiere aller Art konnten wir ab und zu auch lebende Exemplare an die Oberfläche holen. Bei Gefahr (oder wenn sie einfach ungehalten sind?) blasen sie sich igelkugelrund auf, sehen dabei aber eher lustig als gefährlich aus. Aus Japan kennt man sie als „Fugu“, dort sind sie für ihre sagenhafte Giftigkeit berühmt. Der Kick besteht darin, dass man locker an einem einzigen Bissen einer Fugu-Mahlzeit sterben kann, wenn der Koch sein Handwerk bei der Zubereitung nicht hundertprozentig versteht. Wir haben genug anderes zu essen und lassen die kleinen Tierchen nach einer Foto-Session wieder frei.

Mit anderen Fischen im Fangkorb mache ich eine unangenehmere Erfahrung. Die kaum handtellergroßen Rochen sind nicht, wie ich dachte, schon wieder (harmlose) Dornrücken-Gitarrenrochen, sondern fiese kleine Stachelrochen, die sich in den Netzmaschen verfangen haben und die ich befreie. Ein heftiges Zappeln des Fischs und ich schreie auf. Erst dachte ich, ich hätte mir das Ende des Metalldrahts in den Finger gebohrt, mit dem ich den Köder im Fangkorb befestigt habe, und ich wundere mich schon, warum der Stich so weh tut. Aber dann war es eben doch der Stachel des Stachelrochens, und deren Gift verursacht wirklich heftige Schmerzen, und bricht dann auch noch dank seines Widerhakens in der Wunde ab. Wieder was gelernt.

An Land ist die Stachelvielfalt Mexikos natürlich bekannt. So viele Arten von Kakteen und anderen stacheligen Gewächsen kommt anderswo wohl kaum vor. Für große Blätter ist es hier einfach zu trocken, fast alles Grünzeug hat stattdessen Dornen oder Stacheln. Diese dienen nicht nur zur Verteidigung gegen Fressfeinde, sondern auch als Kletten zur Fortpflanzung. Lose Stachelkugeln liegen auf dem Boden, bereit, die Sohle einer dahergelaufenen Sandale zu durch(!)bohren oder gerne auch direkt im Zeh steckenzubleiben. Also Augen auf beim Herumlaufen oder dicke Wanderschuhe anziehen! Größere Stachelbälle haben hakenförmige Stachelausläufer und warten wohl auf ein Fell, in dem sie sich verfangen können. Unsere Beinkleidung tut es aber auch.

Die Größe der Kakteen geht von winzigen Stachelkügelchen, die fast wie Bienen aussehen und vom Wind verweht werden können bis hin zu den Cardón Kakteen, die mit bis zu 20 Metern Höhe und einem Stammdurchmesser von anderthalb Metern punkten und an manchen Orten ganze Kaktuswälder bilden. Wir sind gebührend beeindruckt.

Aufbruch nach Süden

Nachdem der Ausflug nach Norden ja nicht so erfolgreich war, versuchen wir es morgen in der entgegengesetzten Richtung. Zwar öffnet die USA jetzt auch ihre Grenzen, aber nun ist die Hurrikan-Saison in der südlichen Baja California offiziell beendet und wir wollen die nächsten Monate die Landschaft und die Ankerplätze der Sea of Cortez (Golf von Kalifornien) erkunden. So schön Ensenada auch ist, Stadt und Marina hatten wir über drei Monate lang, das reicht erst einmal.

Das Boot ist schon seit Tagen fertig zur Abreise, die neuen Cockpit-Scheiben sind montiert, das gesprungene Plexiglas vom Niedergangsluk ersetzt, der neue Windmesser ist im Masttop angeschlossen. Diesel, Wasser, Propan und Sprit für den Außenborder sind aufgefüllt. Alle Einweckgläser sind voll mit Mango- und Tamarindenmus, Schweinefleisch und Rindergulasch, die Staufächer für Bier und Wein sind gut gefüllt.

Die frischen Lebensmittel und Milchprodukte werden noch im letzten Moment gebunkert, dann sind wir bereit (und reif) für die Inseln. Zwei Tage kräftiger Nordwind sind angesagt, das sollte uns ein gutes Stück nach Süden schaukeln.

Einmal USA und zurück

Die Einreisebeschränkungen in die USA zu Covid Zeiten sind unübersichtlich. Da gibt es (noch bis November) die Regel, dass nicht einreisen darf, wer sich die letzten zwei Wochen im Schengenraum aufgehalten hat. Wir sind schon acht Wochen in Mexiko, das betrifft uns also nicht.

Dann gibt es die Beschränkung bei der Einreise von Mexiko aus nicht-notwendigen Gründen. Laut der Website der US-Botschaft in Mexiko betrifft dies aber nur die Einreise auf dem Landweg und mit Fähren. Dort steht explizit: von den Einreisebeschränkungen nicht betroffen sind Flug-, Bahn- und Schiffsreisen, außer Pendlerzüge und Fähren. Sollte für uns also eigentlich passen, denn eine Fähre ist unsere Muktuk ja nicht.

Dennoch versuchen wir, Klarheit durch einen Anruf bei den amerikanischen Grenzbehörden zu erhalten. Auf der Website finden wir die Telefonnummer der zuständigen Behörde in San Diego, dort gibt es aber nur eine Bandansage ohne Information für uns.

Also machen wir uns auf den Weg. Wir warten auf ein Wetterfenster, wo der praktisch beständige Nordwind eine Pause macht und motoren über Nacht die 65 Seemeilen nach Sand Diego hoch, um bei Tageslicht anzukommen.

Wir machen am „police dock“ fest und finden dort eine Telefonnummer, bei der tatsächlich ein Mensch antwortet. Er fragt nach unserer Nationalität, unseren Visa, dem Zweck unserer Reise und klingt schon recht bedenklich, schickt aber zwei Beamte zu uns an den Steg, die auch nach 20 Minuten eintreffen.

Sie fragen uns (nicht unfreundlich), warum wir gegen die Einreisebestimmungen verstoßen würden, denn es gäbe doch ein Einreiseverbot für nicht-notwendige Reisen in die USA. Ich erkläre, dass das auf der offiziellen Botschafts-Website der USA ganz anders erklärt wird, aber es hilft alles nichts: uns wird die Einreise in die USA nicht gestattet.

Unsere Pässe werden notiert, unsere Fingerabdrücke abgenommen, Fotos gemacht. Die Küstenwachse sei benachrichtigt, sie würde verfolgen, dass wir auch wirklich auf direktem Weg das Land verlassen.

Die beiden Beamten sind dabei aber stets freundlich, es scheint ihnen selbst unangenehm zu sein, uns fortschicken zu müssen. Sie müssen sich aber an die Regeln (oder die Interpretation der Regeln durch ihren Vorgesetzten) halten. Sie sagen, dass sie eine Änderung in ein oder zwei Monaten erwarten, und dass wir dann selbstverständlich willkommen seien.

Vor allem aber erkennen sie an, dass wir in gutem Glauben gekommen sind, und statt uns die Einreise zu verweigern (was uns sicher bei der Verlängerung unserer Visa Probleme machen würde), erlauben sie uns, unseren Einreisewunsch zurückzuziehen, so dass kein negativer Eintrag in unserer „Besucherakte“ erfolgt. Wir dürfen noch unsere Wassertanks auffüllen und Diesel tanken, dann aber machen wir uns auf den Weg zurück nach Mexiko.

Zwei Nachtfahrten, anderthalb Stunden Aufenthalt in San Diego, 150 Liter Diesel vertuckert, rund 100 Euro Gebühren für das Aus- und wieder Einklarieren in Mexiko, und wir liegen wieder an unserem alten Steg in der Marina. Um eine Erfahrung reicher. Und mit rund sechs Wochen Zeit, bevor die Hurrikan-Saison zu Ende geht und wir uns auf den Weg nach Süden in die Sea of Cortez aufmachen können.

Wir nehmen es gelassen. Wir haben Ensenada liebgewonnen, das Leben hier ist gut und günstig. Es gibt schlimmere Orte, um eine Weile auszuharren.

Velociped

Mit diesem einfachen Trick haben wir unsere Rumpfgeschwindigkeit um mindestens das fünffache gesteigert. Funktioniert allerdings nur an Land, auf See ist nicht genügend Auslauf vorhanden.

Unsere beiden Hightech-Boliden (eines hat sogar Gangschaltung!) haben wir für umgerechnet 45 Euro pro Stück auf dem „Globo Market“ gefunden, einem riesigen Floh-, Gemüse-, Fleisch-, Fisch- und Jahrmarkt, ein paar Fahrradminuten vom Hafen entfernt. Das heißt, einmal mussten wir hinlaufen, das hat dann länger gedauert.

Und da wir die beiden nicht nur als Draht- sondern auch als Lastesel brauchen, musste ich beim einen noch einen Gepäckträger und beim anderen einen Lenkerkorb dazu bauen. Meine erste Gepäckträger-Konstruktion hat allerdings den Härtetest nicht bestanden: als ich auf dem Korb drei Wasserkanister zu je 10 Liter transportieren wollte, brach das Ding nach dem letzten Schlagloch einfach zusammen. Der neue Gepäckträger sollte jetzt besser halten.

Wie lange wir die Räder behalten können, ist noch nicht klar, denn für schwere See haben wir keine Lagermöglichkeit an Deck, und außerdem werden sie das ständige Begießen mit Salzwasser sicher nicht mögen. Und unter Deck haben wir zwar wirklich ausgiebig gesucht, aber den Eingang zum Fahrradkeller finden wir einfach nicht!

Bis San Franzisco sollte es aber hoffentlich gelingen, sie mitzunehmen, und vielleicht gibt es dort auch einen Flohmarkt und dann heißt es: in gute Hände abzugeben…