Kupfer in Santa Rosalia

Im Jahre 1868 entdeckte José Rosas Villavicencio, ein mexikanischer Viehzüchter, in der Nähe des heutigen Städtchens Santa Rosalia ein paar merkwürdig aussehende Gesteinsbrocken. Er zeigte sie dem Kapitän eines in Guaymas vor Anker liegenden Schiffes, der zwei Deutsche dazu holte, um die Steine zu begutachten. Diese boten dem Bauern Geld, damit er ihnen die Fundstätte dieser Steine zeigte. Es handelte sich nämlich um Erz mit einem recht ansehnlichen Kupfergehalt von 20 bis 25%. In den folgenden Jahren wurde das Kupfererz zunächst durch ein mexikanisch-deutsches Unternehmen in geringem Umfang und nur im Tagebau gefördert, anscheinend aber mangelte es dieser Firma an fast allem: Kapital, Ausrüstung und Fachkenntnis. Ohne Hüttenwerk war es auch unrentabel, das Erz zu verschiffen, und als dann noch der fallende Kupferpreis dazukam, ging das Unternehmen 1879 pleite.


Das inzwischen nach Europa (hauptsächlich Schweden und England) exportierte Kupfererz weckte aber das Interesse der Rothschild-Familie. Zu dieser Zeit war der Weltmarkt für Kupfer von einem einzigen Hersteller bzw. einer einzigen Mine dominiert: Rio Tinto in Spanien. Rothschild beauftragte zwei französische Ingenieure damit, die Erzvorkommen in der Baja California zu untersuchen, und ausgestattet mit einem Startkapital von 12 Millionen Franc wurde die „Compania del Boleo“ als Aktiengesellschaft gegründet, die 1885 die Konzession zum Kupferabbau erhielt.

Die mexikanische Regierung versprach sich davon die Erschließung dieses bisher unbesiedelten Landstrichs und gewährte der neuen Firma Steuerfreiheit für 70 Jahre. Neben der Infrastruktur für den Erzabbau und die Kupferhütte errichtete „El Boleo“ auch Unterkünfte für die Arbeiter und französischen Ingenieure – der Ort Santa Rosalia entstand, und eine Landungsbrücke für Schiffe wurde erbaut, die Keimzelle des heutigen Hafens. 1892 hatte Santa Rosalia bereits 600 Einwohner, zwanzig Jahre später schon über 6000. Selbst eine Kirche wurde herangeschafft, aus Einzelteilen zusammengesetzt und von niemand geringerem als Gustave Eiffel entworfen. Eben genau das Richtige für französische Ingenieure!

Ende des 19. Jahrhunderts produzierte Santa Rosalia bereits 11.000 Tonnen Kupfer pro Jahr, die Hälfte der mexikanischen Produktion. Die Abbaubedingungen waren dennoch primitiv. Maschinen oder Sprengstoff kamen nicht zum Einsatz, stattdessen Handbohrer und Spitzhacke. Nur die einheimischen Yaquis aus Sonora waren der Hitze gewachsen und wurden – nur mit Lendenschurz bekleidet – unter Tage geschickt, viele erkrankten und starben aufgrund der extremen Arbeitsbedingungen.


Das Hüttenwerk war dagegen seit seiner Erbauung stets „state of the art“. Anfangs wurde das Erz nur zerkleinert und in Hochöfen verhüttet, bald kamen aber auch Konverter dazu, bei denen in das noch flüssige Rohkupfer Luft eingeblasen und die Unreinheiten damit verbrannt wurden. Am Ende blieb 98% reines Kupfer übrig, das in Barren gegossen wurde. Der als „Abfallprodukt“ entstehende Hochdruck-Dampf trieb Maschinen sowie Generatoren zur Stromerzeugung an. Die im Hochofen anfallende Schlacke wurde über Förderbänder zu einem Verladeturm am Hafen transportiert, auf Schiffe verladen und ins Meer geschüttet. Noch heute ist das Hafenbecken durch Wellenbrecher aus Schlacke geschützt.

Als nach siebzig Jahren die Steuerfreiheit von El Boleo auslief, machte die Firma 1954 dicht, die Minen wurden in Folge von mexikanischen, kanadischen und zuletzt koreanischen Betreibern weiter genutzt. Auch die Kupferhütte blieb noch bis in die 1970er Jahre in Betrieb. Das Gebäude ist mittlerweile recht verfallen, und in Deutschland wäre es aus Sicherheitsgründen sicher gesperrt und mit allerlei Zäunen umgeben. Hier in Mexiko sieht man das nicht so eng. Wir können auf dem ungesicherten Gelände herumgehen und die riesigen Anlagen und Maschinen bestaunen. Man muss eben selber zusehen, dass man nirgends einbricht und dass einem nichts auf den Kopf fällt.


Peppino, ein mittlerweile 85-jähriger ehemaliger Angestellter von El Boleo, führt uns in der Maschinenhalle herum, erklärt uns den Verhüttungsprozess und beantwortet geduldig unsere Fragen. Am Ende der Führung steigt er wieder in sein Taxi – denn aktuell verdient er mit Taxifahren sein Geld. Wir laufen noch lange in der Ruine der Anlage herum, schießen unzählige Fotos und bewundern die massiven, verrosteten Maschinenteile. Das Hüttenwerk flößt uns noch immer Respekt ein, Respekt vor der Ingenieursleistung, aber auch vor ihrer schieren Dimension. Ein befreundeter Segler, der mit uns zusammen die Anlage besichtigt, findet die passende Beschreibung: wie ein großes, mächtiges totes Tier.