Fisch in der Falle

Shimabara, 7. Mai 2023

Segeln mit Familienanschluss. So kommen wir uns mittlerweile in Japan vor. Vor rund zwei Wochen hatten wir in Makurazaki einen sehr netten Segler namens Kosei kennengelernt, der auf dem Weg nach Okinawa dort Station machte. Er empfahl uns eindringlich, den Hafen von Kuchinotsu zu besuchen, denn dort erwarte uns nicht nur ein großer Schwimmsteg, sondern auch sein Bruder Eiji.

Und so war es denn auch. In strömendem Regen wartete Eiji zusammen mit zwei Freunden auf uns, und wegen des stärker als erwartet ausfallenden Gezeitenstroms kamen wir auch noch eine Dreiviertelstunde verspätet an. Am nächsten Tag wurden wir mit dem Auto abgeholt und konnten alle zusammen an einem ganz besonderen, einmal jährlich stattfindenden Spektakel in Shimabara teilnehmen: dem Frühlings-Fischfallen-Festival.

Und das geht so: schon seit Ewigkeiten nutzten die Einwohner Shimabaras die starken Gezeiten (der Tidenhub erreicht fast sechs Meter) zum Fischfang, indem sie einen Steinwall am Strand errichteten und so eine halbrunde Fläche von fast zweihundert Metern Durchmesser umschlossen. Bei Hochwasser wird der Steinwall überspült, und wenn das Wasser mit der Ebbe abfließt, bleiben Fische, Krebse und Kraken zurück und können bei Niedrigwasser einfach eingesammelt werden.

Jedenfalls war das bis vor rund fünfzig Jahren so, dann geriet diese Fangmethode in Vergessenheit. Vor zwölf Jahren aber beschloss die Stadtverwaltung, den Damm wieder herzurichten und einmal jährlich im Frühling ein Fischfallen-Fest zu veranstalten, um den Kindern der Halbinsel beizubringen, was es an lokalen Fischsorten und anderen Meerestieren gibt. Schließlich ist der Fischfang tief in der japanischen Kultur verwurzelt. Nur leider sind Japans Küstengewässer mittlerweile so stark überfischt, dass sich kaum mehr Fische freiwillig in die Falle begeben. So müssen also für das Fest eigens gefangene Fische und Meerestiere in der Fischfalle ausgesetzt werden, damit die Kinder sie später fangen können.

Das Aussetzen der Fische ist also der erste Akt des Spektakels, bei dem sich auch die Lokalpolitiker in Gummistiefeln im Fischweitwurf üben müssen. Als nächstes dürfen Kleinkinder, die noch an der Hand der Eltern gehen, an den Rand der verbliebenen Wasserfläche. Erst wenn alle da sind, darf der Fang beginnen. Ganz diszipliniert halten sich auch alle daran und warten auf die Lautsprecherdurchsage. Dann stürzen sich aber alle Kinder, ihre Eltern hinter sich herziehend, in die Fluten. Als zweites dürfen dann auch die größeren Kinder losziehen, und am Ende kommen die Erwachsenen.

Alles in allem sollen in diesem Jahr knapp tausend Personen teilgenommen haben. Birgit und ich scheinen die einzigen Ausländer zu sein. Wir sind ein wenig zwiegespalten: einerseits stimmt es traurig, wenn der einstige Fischreichtum Japans schon so dezimiert ist, dass man den Kindern extra gefangene Fische vorsetzen muss, um ihnen das Wissen um die Natur vermitteln zu können. Andererseits aber haben alle ganz offensichtlich einen Heidenspaß dabei, kommen erschöpft und teils klatschnass, aber begeistert an den Strand zurück. Und sind mächtig stolz, wenn sie in ihrem Netz einen Fisch oder gar einen Oktopus vorzeigen können. Und wir sind froh, dabei sein zu dürfen.

Schüler aus Stein

Nagasaki, 2. Mai 2023

Auf der Suche nach einem Laden für gebrauchte Fahrräder in Nagasaki sind wir zufällig über das angeblich einzige authentische Konfuzius-Mausoleum Japans gestolpert. Das wuchtig-chinesische Gebäude hat uns angelockt. Drinnen macht China ein wenig Werbung für sich und seine neue Seidenstraße; etliche Kunstwerke aus den Beständen Pekinger Museen werden ausgestellt.



Das (uns) Beeindruckende sind aber die lebensgroßen Statuen der 72 besten Konfuzius-Schüler, den sogenannten „Weisen“. Jede einzelne der aus weißem Stein gehauenen Figuren hat ihren eigenen, ganz spezifischen Charakter. Man kann dicht an sie heran oder um sie herumgehen, ihre Haltung und ihren Gesichtsausdruck genau inspizieren und sich vorstellen, welche Persönlichkeit dieser alte weis(s)e Mann wohl gewesen sein muss.






Manche schauen gütig und wohlwollend drein, manche geben sich unnahbar, andere grimmig, wieder andere fromm. Manche sind gebeugt, andere sehen nach oben, aber jeder Einzelne ist ungeheuer ausdrucksvoll dargestellt. Es ist ein großes Vergnügen, zwischen den Reihen dieser Weisen durchzulaufen und sich vorzustellen, wie wohl das Vorbild der Figur gewesen sein muss. Schade, dass man nicht die Biografien zur Hand hat, um seinen Eindruck überprüfen zu können. Oder sich überraschen zu lassen.



Kleines Juwel

25. bis 28. April 2023

Ushibuka, ein Fischerort im Süden der Halbinsel Amakusa. Da unser Mast zum Glück nicht so hoch ist, passen wir unter der Brücke durch und können am Schwimmsteg anlegen. Der gilt als „Umi no Eki“, See-Station, und kostet Liegegebühren. Die werden leider nach Tonnen bemessen, und das Gewicht unserer Muktuk, 26 Tonnen, ist schon gar nicht mehr auf der Preisliste und muss extrapoliert werden. So müssen wir für die drei Tage und Nächte den enormen Betrag von 405 Yen, umgerechnet 2,74 Euro bezahlen. Und bekommen natürlich eine Quittung dafür. Am nächsten Tag kommt ein Mitarbeiter des Büros ans Schiff, entschuldigt sich vielmals und erklärt, die Mitarbeiterin von gestern hätte sich vertan und uns 2 Yen zu viel berechnet, die uns natürlich zurückerstattet werden, immerhin fast 2 Cent! Und natürlich gibt es dafür eine neue Quittung. Japan eben.

Aber das nur am Rande. Zeigen wollen wir Euch eigentlich einen kleinen Park, den wir zufällig auf einer Wanderung zum Aussichtspunkt auf dem Berg entdeckt haben:

Im Hafen von Io-Jima

15. – 18. April 2023

Zwei Tage und zwei Nächte sind wir unterwegs, nachdem wir Okinoerabu-Jima verlassen haben. Wir wissen anfangs noch nicht, wie lange uns der Wind für unsere Reise nach Norden erhalten bleiben wird, deshalb haben wir kein festes Ziel, sondern legen uns nur eine ganze Reihe von Optionen zurecht. Für alle Inseln, die in Frage kommen, haben wir Detailkarten, Satellitenfotos der Häfen und ein paar touristische Informationen aus dem Internet heruntergeladen.

Die Überfahrt verläuft zunächst phantastisch: wir sausen mit 6-7 Knoten bei nicht allzu viel Welle dahin und kommen hervorragend voran. Die zweite Nacht ist allerdings anstrengend. Um uns herum toben Gewitter, es regnet in Strömen, die Sicht ist fast Null. Alle Frachter, die zwischen Tokio und Taiwan oder Südkorea unterwegs sind, kreuzen unseren Kurs. Außerdem sind auf dem Dampferstrich auch noch Flotten chinesischer Fischereifahrzeuge unterwegs, die sich um Vorfahrtsregeln wenig scheren. Wer hier ohne AIS unterwegs ist, ist verloren.

In dieser Nacht ist also nicht wirklich an Schlaf zu denken. Ständig stehen Ausweichmanöver oder zumindest gespanntes Beobachten des Schiffsverkehrs an. Wir legen unsere Wunschinsel für die Ankunft fest, und am frühen Morgen ist klar, dass wir diese auch erreichen können, bevor der Wind dreht.

Io-Jima heißt sie und liegt gerade mal 30 sm vom Festland entfernt. Sie hat einen hübschen Vulkankegel und soll mehrere heiße Quellen mit den dazugehörigen Bädern (Onsen) haben. Neben Vulkanologen kommen im Wesentlichen Onsen-Freunde hierher, es gibt kaum touristische Infrastruktur, keine Restaurants, einen kleinen Krämerladen. Genau das Richtige für unseren Geschmack.

Wir erfahren, dass vor etlichen Jahren ein berühmter Trommler aus Guinea hierherzog, um eine Schule für die afrikanische Djembe-Trommel zu eröffnen. Die hat hier auf der Insel gründlich eingeschlagen, so dass die Hälfte der Inselbewohner entweder trommelt oder zur Trommelei tanzt. Viermal pro Woche kommt die Fähre aus Kagoshima, und am Wochenende, wenn die Kinder schulfrei haben, wird die Fähre mit einer Djembe-Trommel Vorführung nebst Tanz begrüßt.

Um der drohenden Entvölkerung der Insel zu begegnen, werden Neu-Ansiedler hier drei Jahre lang subventioniert, um Fuß fassen und eine Anstellung finden zu können. Im Gegensatz zu anderen Inseln mit ähnlichen Programmen muss man hier das Bürgergeld auch dann nicht zurückzahlen, wenn man die Insel wieder verlässt.

Nach unserer harten letzten Nacht auf See freuen wir uns jedenfalls sehr bei der Vorstellung, im heißen Wasser der vulkanischen Quellen entspannen zu können. Aber zu früh gefreut: als wir im Hafen angelegt haben, werden wir von einem Behördenvertreter informiert, dass wir ohne aktuellen PCR-Test nicht an Land dürfen. Wir dürfen gerne im Hafen bleiben, bis das Wetter besser wird, aber das Schiff nur verlassen, um die Hafentoilette zu benutzen. Alles Vorzeigen unserer Impfpässe oder Schnelltests hilft nichts. Und hier auf der Insel kann man natürlich keinen PCR-Test machen, den hätte man schon mitbringen müssen. Sho ga nai, wie der Japaner sagt: da kann man wohl nichts machen.

Langweilig wird es uns trotzdem nicht. Zwar dürfen wir nicht von Bord, aber das hält die Inselbewohner nicht ab, uns zu besuchen. Als erstes kommt Aia, Mutter des fünfjährigen Sohns Aito und ihrer einjährigen Tochter Asami. Aito will unbedingt das Schiff besichtigen, und der Mutter ist der fehlende PCR-Test schnuppe, also kommen sie alle an Bord, wir unterhalten uns, trinken Tee und essen Plätzchen. Sie fährt dann schnell noch heim, um für uns frisch geerntete Bambussprossen zu holen, lässt Aito solange bei uns. Er meint am Ende, wenn er groß ist, will er auch so ein Boot haben und um die Welt segeln.

Als nächstes kommen Yumi und Rei, ein elfjähriges Mädchen, wieder ist es die Neugier des Kindes, die den Kontakt herstellt. Schnell werden Yumis Mann Yoshiro und Oleg, der Vater des Mädchens angerufen, und so sitzen wir bald zu sechst um den Messetisch und unterhalten uns, denn Oleg ist ein Russe aus Estland, der vor dreizehn Jahren nach Japan kam, gut Englisch spricht und für die anderen übersetzen kann. Außerdem baut er gerade sein eigenes Boot und ist natürlich an unserer Muktuk interessiert. Wir verabreden uns für den nächsten Tag zum Abendessen an Bord und können so viel über die Insel, über die japanische Gesellschaft und über Olegs spannende Biographie erfahren.

Die Crew eines gerade eingelaufenen Forschungs- und Bergungsschiffes kommt uns auch begrüßen. Ein weiteres fünfjähriges Mädchen mit ihrem Vater besucht uns, und damit haben wir den Inselkindergarten schon komplett an Bord gehabt. Wenn es mit den Besuchern so weitergeht, haben wir bald die paar Dutzend Insulaner, die hier leben, kennengelernt, und dann hat sich das mit dem PCR-Test ja auch irgendwie erledigt.

Vor ein paar Tagen meinte Birgit, sie wünsche sich einmal einen Tag Pause, an dem nichts Neues passiert, damit sie dazu kommt, in Ruhe ein paar Blogeinträge zu schreiben. Als wir erfuhren, dass wir hier nicht an Land können, dachten wir eigentlich, ihr Wunsch würde sich erfüllen. Aber wir haben hier nun doch so viele nette Menschen kennengelernt und so viel Neues gelernt, dass es wohl wieder nichts war mit der Pause. Tja – sho ga nai, da kann man nichts machen….

Makurazaki – Hauptstadt des schimmeligen Fischs

18. bis 24. April 2023

Für unseren nächsten Hafen muss ich kulinarisch etwas ausholen. Denkt man an typische Zutaten der japanischen Küche, fällt einem als erstes die Sojasauce ein. Schon an zweiter Stelle steht aber eine Zutat, die im Westen nicht ganz so bekannt ist, aber eine absolut zentrale Rolle beim Japanisch Kochen spielt: das Dashi. Ob Miso-Suppe, die Brühe für Ramen, sautiertes Gemüse, zahlreiche Sauce: die Dashi Brühe gibt all diesen Gerichten die entscheidende Note. Die Hauptzutaten für Dashi sind Kombu (eine Algenart) und Katsuobushi, fermentierter Thunfisch. Und die Hafenstadt Makurazaki, in der wir nun liegen, ist der wichtigste Ort Japans für die Herstellung von Katsuobushi. Sie haben angeblich auch schon 1707 damit angefangen.


Das beginnt mit dem Fischfang. In dem riesigen Hafenbecken landen täglich mehrere Dutzend Fischerboote ihren Fang an. Rund 50.000 Tonnen Bonito im Jahr werden hier ausgeladen. Auf den größeren Fangschiffen wird der Fisch unterwegs bereits gefroren, hier im Hafen findet die Auktion des Fangs statt. Ab 6:30 Uhr morgens rumpeln dann die Förderbänder, auf die der Bonito kistenweise mit Gabelstaplern geschüttet wird, dort wird er nach Größe und Unversehrtheit sortiert und in Lastwagen verladen.


Dutzende Fabriken in der Stadt verarbeiten den Fisch weiter: der Bonito wird zunächst ausgenommen, grob filetiert und dann ein bis zwei Stunden gekocht. Die noch warmen Fische werden dann entgrätet, enthäutet und in Viertelfilets aufgebrochen, alles in Handarbeit. Für zwei bis drei Wochen wandert der Fisch nun in Räucheröfen, wo er einen Großteil seiner Feuchtigkeit verliert und dadurch haltbar wird. Läuft man durch die Stadt, sieht man überall die Rauchschwaden aufsteigen, und der Duft von Räucherfisch weht einem um die Nase. Angenehm, solange man da nicht wohnen muss. Auch das in vielen Höfen gestapelte Kirsch- und Eichenholz, das zum Räuchern verwendet wird, riecht herrlich.




Für die besseren Qualitätsstufen geht der Verarbeitungsprozess aber jetzt erst richtig los. Der Fisch wird glattgeschliffen und mit einem Edelschimmel geimpft. Über einen Zeitraum von einem halben Jahr wird immer abwechselnd der Schimmel kultiviert und der Fisch wieder in der Sonne getrocknet. Am Ende steht ein sehr harter und spröder Knüppel, außen gleichmäßig hellbraun, innen glasartig rot wie ein Edelstein, dem man seine fischige Herkunft kaum mehr ansieht oder anriecht, und der viele Monate haltbar ist. Die jeweils benötigte Menge an Bonitoflocken wird von diesem Block in papierdünnen Spänen abgehobelt.




Natürlich kann man in jedem Supermarkt auch schon fertig gehobelte Bonitoflocken kaufen (die aber nicht so lange haltbar sind). Oder gleich Instant-Dashi als Pulver zum auflösen in Wasser. Aber selbst gehobelt ist natürlich schöner, und solange man es nicht im Doppelblindversuch beweisen muss, schmeckt es auch viel besser. Ehrlich.

Neun Wochen auf See

9. März 2023 um 22:30 Uhr UTC, POS 24°31’N 137°31’E

Sagte ich schon, dass wir langsam ankommen wollen? Wir haben in der vergangenen Woche gut Strecke gemacht, Japan rückt näher. Seit wir unsere „Reiseflughöhe“ von 18° Nord verlassen haben und Kurs direkt auf Okinawa abgesetzt haben, wird es jeden Tag ein wenig kälter. Die Wassertemperatur unserer Kübeldusche ist von 26° auf nur noch 20° C gesunken und kostet bereits Überwindung. Die Barfuß-Zeiten sind vorbei, lange Hosen und Socken werden aus dem Schrank geholt. Die Felsbrocken und Inselchen, an denen wir vorbeifahren, heißen bereits irgendwas mit -Jima (japanisch: Insel), der Schiffsverkehr nimmt zu. Am Mittwoch hatten wir die letzte Umstellung unserer Bordzeit und sind jetzt in der Zeitzone Japans. Aktuell trennen uns noch 540 Seemeilen vom Ziel.

Allerdings sind wir ja nicht länger im Passatgürtel und können nicht auf beständige Winde aus unserer Wunschrichtung rechnen. Für die letzten Meter hat Rasmus daher noch ein paar Flauten und einen Frontdurchgang für uns vorgesehen. Aber das schaffen wir auch noch.

Wir spüren die vielen Wochen und Meilen, die hinter uns liegen. Die Stimmung an Bord schwankt zwischen Übermut und Überdruss. Der Vorschlag, noch ein paar Ehrenrunden um Okinawa zu drehen, bis auch die letzten Kartoffeln, Zwiebeln und Kohlköpfe aufgegessen sind, stieß auf einhellige Ablehnung. Dabei können wir uns ja gar nicht beklagen. Die Passatstrecke ist seglerisch nicht besonders herausfordernd, wir hatten bisher kein wirklich schweres Wetter, fast immer gute Windrichtungen und keine Schäden an Bord, mit denen wir nicht umgehen konnten. Toi toi toi, dass es auf den letzten Meilen so bleibt!

 

Wir haben es ja vergleichsweise leicht, weil uns jede Menge Technik unterstützt, die frühere Seglergenerationen nicht hatten. Die Windsteuerung geht Ruder, der Arduino übernimmt das Trimmen, das AIS geht (mit) Ausguck, das GPS navigiert. Und wir? Na gut, hin und wieder zupfen wir an den Segeln und treffen folgenschwere navigatorische Entscheidungen: „Kurs West für die nächsten sechs Wochen!“. Als Hausmeister halten wir alles in Schuss, flicken Löcher in Segel und Bordwand, reparieren, was kaputt geht. Davon abgesehen fahren wir eigentlich nur als Köche und Vogelscheuchen mit.

Und trotzdem spüren wir die Erschöpfung, körperlich wie mental. Immer mal wieder kommt uns Bruce Willis aus der siebzehnten Fortsetzung von „Stirb Langsam“ in den Sinn. Da steht er, schon längst pensioniert, mal wieder im rußverschmierten und blutbefleckten Feinripp-Unterhemd und sagt „ich glaube ich bin zu alt für diesen Scheiß“. Und macht natürlich doch alle Bösewichter fertig.

Wenn also die nächste Fortsetzung von „Zehn Wochen auf See“ gedreht wird, werden wir uns nicht gleich wieder um die Hauptrollen bemühen. In nächster Zeit sowieso nicht, denn da stehen wir bereits für „Kirschblüte in Japan“ unter Vertrag.

Achtunddreißig Wochen auf See

2. März 2023 um 21:30 Uhr UTC, POS 19°22’N 151°34‘E

Das ist schon ein unglaublich großer Ozean. Jetzt sind wir bereits so ewig unterwegs, dass wir uns gar nicht mehr erinnern können, wie es früher einmal ohne Geschaukel und unterbrochenem Schlaf war. Oder wie es war, andere Menschen zu sehen, in Geschäften einkaufen zu gehen, frische Lebensmittel zu haben. Von exotischen Wünschen wie Restaurantbesuchen oder einer Süßwasserdusche ganz abgesehen. Ihr seht schon: wir haben die Freuden des Lockdowns zur Genüge ausgekostet, wir wollen langsam ankommen.

Vor drei Tagen zog eine weitere Front durch, mit Regen, Starkwind und viereinhalb Meter See, die uns die letzten Tage begleitet hat. Wenig Schlaf also mal wieder, insgesamt kein Vergnügen, aber immerhin kommen wir voran. Die restliche Strecke bis Okinawa wird langsam absehbar.

Wahrscheinlich sind mal wieder die Tölpel schuld. Als ich Anfang der Woche zum hinteren Mast hochblickte, sah ich, dass unsere UKW-Antenne, die dort eigentlich aufrecht stehen sollte, nur noch an ihrem Kabel hängend nach unten baumelte und vom Wind hin und her geblasen wurde. Wir hatten immer abends beobachtet, wie verzweifelt die Tölpel versuchten, auf den Mast-Topps zu landen. Auf dem vorderen Mast schaffte es fast immer einer, sich hinzusetzen, aber achtern war eben die Antenne im Weg. Wir vermuten, dass ein Tölpel den Anflug nicht gut berechnet hat und vom schwankenden Mast mit der Antenne im Flug weggeschubst wurde. Dabei muss wohl die Antenne oder ihre Halterung gebrochen sein.

Jedenfalls war nun unklar, ob die Antenne auch baumelnd noch funktioniert. Hoch in den Mast kann ich bei diesem Seegang unterwegs nicht klettern, und für einen Radio-Check braucht man ein anderes Schiff in Funkreichweite, und das hatten wir bisher nur alle ein bis zwei Wochen. Also war sicherheitshalber die Konstruktion einer neuen UKW-Antenne angesagt. Nur: wie macht man das mit Bordmitteln? Mein Amateurfunkzeugnis liegt ja schon über zehn Jahre zurück, ich weiß die Grundlagen, war aber doch bei einigen Fragen unsicher. Zum Glück konnten unsere Freunde an Land weiterhelfen, die im Internet recherchierten, weitere funkbegeisterte Freunde einschalteten, und uns dann per Mail mit Bauanleitungen und Antworten auf technische Fragen versorgten.

Mit dieser Hilfe waren der Bau und die Installation dann recht einfach, und dann kam auch gleich, als hätte es nur darauf gewartet, ein Schiff vorbei, das wir anfunken konnten. Das Ergebnis: mit unserer Baumel-Antenne konnten wir erst auf drei Meilen Entfernung eine Verbindung herstellen, aber der neue Eigenbau funktioniert hervorragend. So werden wir also, wenn alles gut geht, die japanische Küstenwache per Funk verständigen können, wenn wir uns dem Ziel nähern. Denn – wie gesagt – wir wollen jetzt wirklich langsam ankommen.

Sieben Wochen auf See

23. Februar 2023 um 20:45 Uhr UTC, POS 17°56’N 164°57’E

Eine sehr abwechslungsreiche Woche liegt hinter uns. Der erste Tag war noch eine Fortsetzung des schon gewohnten Wind- und Wellenbildes: um die sechs Windstärken, achterliche See von rund drei Metern, Besegelung Fock und ausgebaumte Genua als Schmetterling. Hin- und her rollendes Schiff, alles wie gehabt.

Dann wurde der Wind immer schwächer, die See beruhigte sich, und auf einmal war sie da: die erste Flaute seit Erreichen der Passatzone. Normalerweise ist Flaute beim Segeln ja nicht so gern gesehen, man erinnert sich noch immer an den Spruch aus der SKO: ohne Fahrt machen wir keinen Meter.

Aber wir haben den Flautentag so richtig genossen. Endlich mal wieder durchs Boot laufen, ohne links und rechts blaue Flecken einzusammeln. Mal wieder schlafen, ohne quer durch die Koje gerollt zu werden. Selbst die Zwiebeln ergaben sich der Schwerkraft und blieben in ihren Kisten und Netzen (und das will etwas heißen). Wir haben die Windstille genutzt, um endlich unser Leichtwindsegel auszurollen und zu nähen. Oder vielleicht sollte man besser sagen: die verbliebenen Fetzen zusammenzunähen. Jetzt hat er zwar keine perfekte Form mehr, aber zum Auffangen des Winds von hinten reicht es allemal. Nach den ersten 72 Stunden Einsatz hat er allerdings bereits wieder einen neuen Riss im Unterliek. Die Naht von heute ist die Schwachstelle für den Riss von morgen, Sisyphus lässt grüßen.

Den Rest des Tages verbrachten wir mit baden, so richtig im tiefblauen Meer, saßen nachmittags im Cockpit, schauten der Sonne beim Untergehen zu. Ganz wie man sich Segelurlaub vorstellt. Fehlten nur noch die Schirmchen-Drinks.

Aber auch die schönste Flaute ist nicht von Dauer (zum Glück!), und so erwachten wir am nächsten Tag mit einem Regenguss fast tropischen Ausmaßes. Wir konnten gar nicht so schnell neue Kanister und Eimer unterstellen, um das kostbare Wasser aufzufangen. Nur leider landete das nicht nur in den Behältern, sondern kam auch überall ins Schiff. Bei diesem ersten ordentlichen Guss seit Mexiko sahen wir, wie sehr die Gummidichtungen in einem Jahr Hitze versprödet sind, wie sehr das Dichtmaterial der Fensterscheiben rissig geworden ist und wie sehr Holzsockel, auf denen die Luken teilweise sitzen, schon undicht geworden sind. Es tropft überall herein: im Bad, In der Messe, beim Niedergang, in der Mittelkabine, in der Ankerlast. Diesmal war es nur Süßwasser, aber bei überkommender See ist das alles andere als gut. Jetzt haben wir mit Silikon und Dichtmasse einiges zugeklebt, beim nächsten Regenguss werden wir sehen, ob es etwas genutzt hat.

Der übelste Wassereinbruch kam allerdings nicht von einer Luke, wie wir zunächst dachten. Das Wasser tropfte aus der Wand der Achterkabine zum Cockpit hin, und zwar in Massen (etwa ein Liter pro Stunde). Das heißt, erstmal fluchen. Dann Handtücher zum Auffangen, auswringen wenn vollgesogen. Abmontieren der Holzverkleidung in der Kabine, herausbrechen der Schaumstoffisolierung, um an die Stelle heranzukommen. Endlich ist klar, wo das Wasser herkommt. Der achtere Mast sitzt auf einem Stahlsockel. Der hat ein kleines Abteil, das oben offen ist, und unten ein Entwässerungsloch hat, zumindest theoretisch. Denn das ist oft zugesetzt, und wenn sich dann darin das Wasser staut, rostet der Stahl natürlich. Dazu ist das Abteil so eng, dass man mit keinem Werkzeug hineinkommt, um den Rost zu bekämpfen, sondern nur mit dem Pinsel neue Farbschichten auf den Rost streichen kann. Und da das über die Jahre oft genug passiert ist, ist die Wand zwischen diesem Abteil im Cockpit und der
Achterkabine an einer Stelle durchgerostet. Wenn es nun regnet, füllt sich das Abteil mit Wasser, das den Mast herunterrinnt, es fließt nicht oder zu langsam ab, der Wasserspiegel steigt und erreicht die durchgerostete Stelle. Tja, und dann gibt es eben Wasser in der Achterkabine. Wir haben jetzt erst einmal die Entwässerung wieder in Gang gebracht und den Bereich von innen entrostet. Aus dem Haarriss im Rost wurde nach einigen Hammerschlägen ein ordentliches Loch, durch das man schon ein paar Finger durchstecken konnte. Mit Epoxid-Spachtel haben wir nun eine Edelstahlplatte über das Loch geklebt, das hält erst einmal. Bei nächster Gelegenheit muss dann ein neues Stück Stahl eingeschweißt werden.

Ein paar Stunden nach dem Regen kam dann auch wieder Wind auf, kräftig und plötzlich mit Windstärke sieben und Böen von acht. Die See baute sich bis auf vier Meter auf, bevor wir dann wieder zu normalen Passatverhältnissen zurückkehren.

Themenwechsel zum Gemüse. Weil außer Kartoffeln, Zwiebeln und Kohl die verbliebenen Gemüsebestände mittlerweile sehr traurig dreinschauen, keimte in mir das Bedürfnis, einen Sprossengarten anzulegen. Jetzt sind ständig Mungbohnen, Linsen und Radieschen-Keimlinge am Wachsen, Rucola und Brokkoli-Samen sind schon schwieriger, aber klappen mittlerweile auch. Mit Senf, Quinoa, Amaranth tue ich mich noch schwer. All das braucht zwar einiges an wertvollem Süßwasser (aber es hat ja geregnet) und mehrmals tägliche Pflege, denn das Grünzeug will dauernd eingeweicht, gewässert, umgepflanzt und besprüht werden, aber es ist einfach schön, frisches Grün in der Pfanne, im Salat und auf dem Rührei zu haben.

Noch ein kleiner Wehmutstropfen: dem Geruch folgend, entdeckten wir unter dem Beiboot versteckt die Überreste von Admiral Hornblower. Es blieb nur, ihn standesgemäß der See zu übergeben. Er ist also doch nicht weitergeflogen, wie wir letzte Woche dachten. Oder – je nach Sichtweise – ganz weit fort.

Sechs Wochen auf See

16. Februar 2023 um 19:30 Uhr UTC, POS 18°23’N 176°34‘E

In dieser Woche gab es gleich mehrere völlig irrelevante, aber für uns bedeutende Meilensteine. Am Anfang der Woche konnten wir Bergfest feiern – die Hälfte der Strecke lag hinter uns. Mittlerweile sind von den ursprünglichen 7.421 Seemeilen nur noch 2.950 übrig.

Vorgestern wechselte unsere Position von West- auf Ostlänge. Wir haben ja seit unserer Abreise in Mexiko bereits fünfmal die Uhr eine Stunde zurückgestellt, also hatten fünf unserer Tage eine Stunde zusätzlich. Dafür mussten wir jetzt, beim Überschreiten der Datumsgrenze, einen ganzen Tag hergeben. Mittwoch, der 15. Februar taucht also bei uns im Logbuch nicht auf.

Seit sechs Wochen fahren wir nun unter Windsteuerung. Es ist immer wieder faszinierend zuzusehen, wie dieses Wunderwerk der Ingenieurskunst ganz ohne Strom die Muktuk auf Kurs hält. Hin und wieder korrigiert unsere automatische Trimm-Vorrichtung die Stellung des Hauptruders, alles andere macht die Windsteuerung alleine, Tag und Nacht. Vor allem, wenn es nachts richtig finster ist, bevor der Mond aufgeht, denken wir immer: wie gut, dass die Muktuk alleine weiß, wo sie hinfahren soll.

Neben den Segeln, dem Rigg und der Unversehrtheit des Rumpfes ist die Windsteuerung eine unserer kritischsten Komponenten. Müssten wir stattdessen den Autopiloten verwenden, würde dessen Getriebe unserer Erfahrung nach eine so lange Seestrecke nicht durchhalten (Ersatzzahnräder haben wir auch nicht in unbeschränkter Menge dabei). Und wenn andauernd einer von uns beiden Rudergehen müsste – was für ein Alptraum.

Deshalb war es erstmal ein Schreck, als letzten Samstag das Boot ständig aus dem Kurs lief. Die Ursache war schnell gefunden: das Pendelruder der Windsteuerung war abgebrochen und liegt jetzt auf 5.000 Meter Tiefe. Früher war das Pendelruder aus Holz, aber wir haben es erst 2017 in Neuseeland durch die neue Version aus Aluminium ersetzt. Und dieses ist jetzt knapp unterhalb der Halterung abgebrochen – vom Schadensbild her anscheinend ein Ermüdungsbruch. Das ist natürlich unerfreulich und sollte nach sechs Jahren mäßigen Einsatzes noch nicht passieren, andererseits ist die Konstruktion der Windsteueranlage so einfach und reparaturfreundlich, dass wir das Pendelruder ohne große Probleme durch ein Reserveblatt aus Holz ersetzen konnten.

Blöderweise kommt man allerdings an die nötige Stelle dafür von Deck aus nicht heran. Das Pendelruder montieren wir normalerweise vor Anker vom Beiboot aus, was unterwegs natürlich keine Option ist. Also musste ich mich achtern über Bord hängen, um das Ersatz-Ruderblatt einzupassen und zu montieren. Ich war dabei zwar gesichert, aber wenn von achtern die Dreimeterwellen anrollen, arbeitet man doch ständig mit einem besorgten Blick über die Schulter. Jedenfalls waren wir beide sehr erleichtert, als das Ding montiert und ich wieder wohlbehalten an Deck war. Und die Windsteuerung wieder pendelte, wie es sich gehört.

Wir überlegen schon mal, was wir an Bord zersägen können, sollten wir noch einmal ein neues Pendelruder brauchen. Andererseits: es sind ja nur noch 2.950 Seemeilen.

Mit den Tölpeln hatten wir jetzt keine so großen Probleme mehr. Manchmal streiten sie sich am Abend noch um die Rastplätze auf den Masten, aber die Solarpaneele wurden nicht mehr belagert. Dafür haben wir bereits an zwei Abenden einen Tropikvogel gesehen. Wenn ihr den googelt, werdet ihr verstehen, warum wir so begeistert davon sind. Mit ihrem langen Schwanz sehen diese Vögel aus wie eine etwas übertriebene Computer-Animation eines geflügelten Fabelwesens. Und die fliegen hier einfach so herum. Toll!

Fünf Wochen auf See

10. Februar 2023 um 18:30 Uhr UTC, POS 18°14’N 170°37‘W

Einen gesicherten Beweis für seine Existenz ist uns Hawaii schuldig geblieben. Laut Seekarte war es gerade mal 60 sm entfernt, aber wir haben es weder gesehen noch gerochen. Kein Schiff hat sich gezeigt, weder visuell noch auf dem AIS. Auch als wir versuchten, mit dem UKW-Empfänger einen hawaiianischen Rundfunksender zu empfangen, war nur Rauschen zu hören. Vergeblich versuchten wir, eine Drohnen-Lieferung frischer Karotten zu organisieren, und mit Bier soll es ja sowieso schlecht aussehen. Zwei Hinweise gab es allerdings doch, dass sich hinter dem Horizont etwas verbarg.

Zum einen erklang aus dem UKW-Funkgerät nach fast vier Wochen zum ersten Mal wieder eine menschliche Stimme. Diese behauptete, von der US-Küstenwache aus Honolulu zu stammen und informierte uns mehrmals darüber, dass diese gerade Empfangsprobleme auf UKW hätte und empfahl, nur solche Notfälle zu erleiden, die man auch telefonisch melden könne, oder während dieser Zeit auf Notfälle ganz zu verzichten. Obwohl wir ja ein Satelliten-Telefon haben, entschieden wir uns für die zweite Variante.

Das andere Indiz für die Existenz einer nahegelegenen Insel war das erhöhte Vogelaufkommen. Nicht nur waren mehr Tölpel unterwegs, sondern es flogen auch Dutzende von Seeschwalben und Sturmvögeln ums Boot herum. Vor allem bei einsetzender Dämmerung war der Himmel voller jagender Vögel.

Die Tölpel, die Muktuk als Mitreisegelegenheit nutzen, werden auch immer frecher. Mittlerweile machen sie uns sogar das Achterdeck streitig und sitzen auch gerne mal keck auf dem Großbaum. Und die Solarpaneele müssen wir auch regelmäßig schrubben. Vertreiben lassen sie sich weder durch Bewerfen mit vergammelten Zitrusfrüchten, noch durch Wegschubsen mit dem Besenstil. Sie schauen nur verdutzt, fliegen eine Runde und setzen sich wieder genau an dieselbe Stelle. Es ist zum Verzweifeln.

Eines Nachts schreckt mich ein gellender Schrei von Birgit aus der Koje. Sie steckte für den regelmäßigen Kontrollblick den Kopf aus dem Niedergang und fand sich überraschend Auge in Auge (bzw. Schnabel an Schnabel) mit einem der dunklen Vögel, der direkt neben ihr auf dem Achterdeck hockte. Tölpel sind mit einer Spannweite von 120 bis 150 cm ja recht groß. Wer von uns dreien sich am meisten erschreckt hat, können wir nicht sagen. Zumindest zwei der Beteiligten konnten zumindest hinterher herzlich darüber lachen.

Wir versuchen wenigstens das Achterschiff von Vogelkot frei zu halten, nicht nur weil der erbärmlich stinkt, sondern auch aus Sorge vor dem US-amerikanischen „Guano Islands Act“. Das ist ein Bundesgesetz, das seit 1856 US-Staatsbürger ermächtigt, weltweit Guano-Vorkommen außerhalb der Hoheitsgebiete anderer Länder für die Vereinigten Staaten in Besitz zu nehmen. Das wollen wir natürlich für die Muktuk nicht riskieren, da putzen wir lieber jeden Tag, sofern Rasmus das nicht mit ein paar überkommenden Wellen selbst übernimmt.

Von großen Vögeln nun zu einem kleinen: am Sonntag, über 250 sm entfernt von der nahegelegensten Insel, flattert doch glatt eine Brieftaube zu uns aufs Deck. Zwar ohne Brief, aber komplett mit Beringung und allem. Das kleine Kerlchen ist völlig angstfrei, lässt uns auf Handbreite an sich heran und nimmt bereitwillig Wasser und Futter an. Da der Langstreckenrekord für Brieftauben laut Wikipedia bei 1800 km liegt, hat sich unsere entweder überschätzt oder ist vom Wind verweht worden, als sie von einer Hawaii-Insel zur anderen wollte. 

Jedenfalls stolziert sie unbeirrt einmal ums ganze Boot herum und schaut prüfend alles an. Am liebsten spaziert sie auf dem Achterdeck auf und ab, die Hände auf dem Rücken verschränkt (na gut, vielleicht nicht wirklich, aber der Gesichtsausdruck passt dazu). Wir werden höchstens kurz mit einem herausfordernden Blick bedacht, wenn wir es wagen, sie bei ihrer Inspektion zu stören. Fehlt eigentlich nur noch der knurrende Befehl, dass wir hier mal besser putzen sollten und dass die Reffleine ordentlich aufgeschossen gehört. Durch ihr Benehmen hat sie sich ihren neuen Namen verdient: Admiral Hornblower. Als Übernachtungsplatz wählt sich der Admiral standesgemäß den Großbaum, an dessen Ende er/sie das Achterdeck gut im Blick behalten kann. Beim morgendlichen Kontrollflug ums Boot inspiziert Admiral Hornblower auch das Solarpaneel, auf dem drei Tölpel herumlungern, jeder fünfmal so groß wie die Taube. Was meint ihr, wer auf einmal panisch erschrocken Reißaus nimmt? W as wir
mit Wurfgeschossen und Besenstil nicht geschafft haben, erledigt Admiral Hornblower allein durch sein Auftauchen. Schade, dass wir ihn nicht als Vogelscheuche engagieren konnten – seit Dienstag ist er verschwunden. Wahrscheinlich muss er weitere Schiffe seiner Flotte inspizieren.