Muktuk segelt weiter – ohne uns

Über zehn Jahre war die Muktuk nun unser Zuhause. Zehntausende von Seemeilen hat sie uns sicher über die Ozeane geschippert, wenn auch oft nur im Tempo eines flotten Spaziergängers. Rund dreißig Einreisestempel haben wir in unseren Pässen gesammelt, Hunderte von Bekanntschaften geschlossen und Dutzende Freunde gewonnen.

Was wir nicht mehr nachzählen können: Die Sonnenuntergänge auf See. Die Fische an der Angel. Die einsamen Ankerbuchten, an denen wir Tage, Nächte oder Wochen verbracht haben. Die Runden, die wir ums Schiff geschwommen sind. Die Male, die wir uns angesehen haben und sagten, was wir doch für Glückspilze sind.

Was wir auch nicht mehr nachzählen können: die Nächte auf See, in denen wir vor lauter Geschaukel kein Auge zubekommen haben. Die Stunden, in denen Birgit mit der Seekrankheit kämpfen musste. Die Gelegenheiten, die wir kopfüber in den Bilgen verbracht haben, wenn sie wieder einmal mit Salzwasser geflutet waren. Die Male, die wir uns angesehen haben und fragten: warum tut man sich das an?

Unserer Muktuk konnten wir immer vertrauen. Auch wenn wir mal zu viel Segelfläche haben stehen lassen oder am Ruder unaufmerksam waren: Muktuk hat uns alle Fehler verziehen. Dafür haben wir uns gut um sie gekümmert. Mehr als hundert Liter Farbe haben wir über die Jahre auf ihren Rumpf gestrichen, fast hundert Kilo Zink als Anoden verbraucht und ihr einen neuen Satz Segel spendiert. Immer wieder ausgebessert, erneuert, lackiert, ersetzt und repariert, was anstand.

Schließlich war uns Muktuk nicht nur Gefährt und Gefährtin, sondern auch Rückzugsort und Begegnungsstätte, Freizeitpark und Arbeitsplatz, Warenlager, Raumkapsel und Aussichtsplattform, Restaurant, Kneipe und Konzertsaal.

Über zehn Jahre konnten wir Erinnerungen sammeln. An die Wärme der Südsee, die Kälte Alaskas, an unberührte Natur der hohen Breiten und die Hochkultur Japans, an tropische Regenfälle und die Trockenheit der Wüste Mexikos. An Einsamkeit und Stegparties. Vor allem aber immer wieder an die unglaubliche Gastfreundschaft, die uns in der ganzen Welt entgegengebracht wurde.

Nun hoffen wir, dass unsere Muktuk auch in Zukunft für ihren neuen Besitzer eine treue Gefährtin sein wird. Wir haben uns auch Mühe gegeben, für sie einen guten neuen Skipper auszusuchen.

Warum wir das Segelleben aufgeben? Wir hatten uns zwar nie ein festes Limit gesetzt, aber für ewig war die Reise nie geplant gewesen. Die wilde Lust auf Abenteuer ist gebändigt, unser Fernweh im guten Sinne gestillt. Und nach zehn Jahren ohne Unfälle, Überfälle oder größere Schäden sind wir vielleicht wie alle Segler auch ein bisschen abergläubig und wollen das Schicksal nicht über Gebühr herausfordern.

Obwohl wir diesen Schritt bewusst und geplant machen, fällt uns der Abschied vom Schiff und dieser besonderen Art zu reisen und zu leben schwer. Um es ein wenig leichter zu machen, haben wir ein anderes verrücktes Projekt in die Tat umgesetzt und uns auf Ooshima, einer Insel in der Seto Inlandsee, ein Haus gekauft (https://maps.app.goo.gl/GN7iJWsDKVXF3FUE6 ). So haben wir jetzt nicht nur in Deutschland, sondern auch in Japan einen festen Stützpunkt und können jedes Jahr einige Monate in diesem Land verbringen, das uns noch immer so fasziniert und begeistert.

So wurde aus dem Ende der Reise auch ein Anfang, aus dem Auszug vom Schiff ein Umzug, und die Japan-Story geht für uns noch ein Weilchen weiter.

Toyoshima

Frühling und Sommer 2024

Was ist das Schöne, das Magische an dieser Insel in der Seto Inlandsee, zu der wir immer wieder gerne fahren? Ist es die Abgeschiedenheit, der kleine Sandstrand, das Kunstwerk Gerhard Richters im Bambuswald, der verlassene Hafen mit dem von Schlingpflanzen überwucherten Tempel dahinter? Oder die kleine Bucht, in der man nur bei guten Wetterbedingungen ankern kann? Ist es die Freude und Begeisterung der japanischen Freunde, die wir dorthin mitgenommen haben, und durch deren Augen wir noch einmal das Besondere dieser Insel sehen konnten? Schwer zu erklären, sicher eine Mischung davon und noch ein bisschen mehr.

Auf Toyoshima ist kaum was los. Zwar gibt es hier ein exklusives kleines Hotel, das man vom Ankerplatz aus sehen kann. Die dazu gehörenden drei bis vier Bungalows verstecken sich zwischen den Bäumen. Nur einmal haben wir abends Licht gesehen, Gäste sind wohl sehr selten da. Unter der Woche arbeitet tagsüber die Gärtnerin in dem Anwesen und der ein oder andere Handwerker, der irgendetwas an den Häusern repariert. Am Nachmittag gegen fünf Uhr kommt ein kleines Motorboot und holt alle ab.

Bei jedem unserer Besuche fahren wir mit dem Dinghi zum Steg, gehen den Hang hoch, durch den Garten und den Bambuswald zum Kubus von Gerhard Richter. In diesem Jahr haben wir viele Male das große Glück, dass die Tür nicht abgeschlossen ist und wir uns die Kunstinstallation in aller Ruhe anschauen können.

Tolle Fotos kann man auch von außen machen, aber was wirklich nur im Inneren zu sehen ist, das sind die witzigen Spiegelungen, die durch die Anordnung der einzelnen Glasscheiben entstehen.

Und natürlich hat man von hier aus den schönsten Blick auf die Bucht, in der die Muktuk ankert.

Im August segeln wir ein letztes Mal nach Toyoshima: Ein letztes Mal wandern wir den Hügel hoch, ein letztes Mal umrunden wir die Glasscheiben im Inneren, machen Fotos und schauen auf die Muktuk runter. Und dann zieht ein heftiger Regenschauer über die Insel. Wir bleiben noch eine Weile drinnen im Kubus, hören dem Regen zu.

Tempelfest in Imabari

25. Mai 2024

An diesem Samstag waren wir zu einem kleinen Kunsthandwerksmarkt eingeladen, wo sich Freunde von uns mit ihrer Musikband am musikalischen Begleitprogramm beteiligen sollten.

Als wir vor dem Gemeindezentrum in einem Vorort von Imabari aus dem Auto ausstiegen, hörten wir Flötenspiel und Trommeln ziemlich nahe bei.

Neugierig folgten wir den ungewohnten Klängen. Am Fuß einer hohen steilen Treppe, die zu einem Tempel hinauf führte, hatten sich bereits viele Zuschauer versammelt, die alle gebannt einem ganz besonderen Schauspiel folgten: eine Gruppe junger Männer teilte sich ein Löwenkostüm, sie sprangen im Takt der Flöten wild herum, während einer von ihnen mit dem Kopf des Löwen umher wedelte.

Danach wurden drei kleine Jungen, vielleicht 8-9 Jahre alt, auf die Schultern von jeweils einem jungen Mann gehoben. Gekleidet in traditionelle Gewänder, teilweise mit Kopfschmuck versehen und im Gesicht stark geschminkt, vollführten die Jungen im Takt der Trommeln und Flöten kunstvolle Handbewegungen mit allerlei Insignien wie Fähnchen, Rasseln und Fächern. Dann aber wurde es richtig akrobatisch: Erst setzten die jungen Männer die kleinen Jungen ab und jeder einzelne von ihnen stieg auf die Schultern eines sehr kräftig aussehenden Mannes, der wiederum von mehreren Männern seitlich gestützt wurde. Dann wurde der kleine Junge hoch gereicht, den wiederum der junge Mann auf seine Schulter setzte. Drei Türme mit jeweils drei Menschen!

Dort oben führten die kleinen Jungen noch einmal ihre rituellen Bewegungen vor. Zum Abschluss verteilten sie ganz viel Konfetti, das aus Schirmchen regnete, die ihnen vorher hochgereicht wurden, während von unten von allen Seiten Luftschlangen auf die drei geworfen wurden.

Die Zuschauer klatschten begeistert und gleichzeitig erleichtert, dass alles gutgegangen war. Alle Darsteller stiegen die Treppe herunter und formten eine kleine Prozession. Während sie an uns vorbei gingen, konnte man in einigen Gesichtern die Freude und Erleichterung sehen.

Mittelpunkt der Prozession war dieser mit viel Gold verzierte Schrein, der sehr schwer sein musste, so wie die Männer unter seiner Last schwankten. Begleitet wurde der Schrein vom Priester des Tempels und etlichen älteren Herren in schwarzen Anzügen, die an hohen Stangen befestigte Gebetsfahnen trugen.

Wir folgten dem Zug durch den Stadtteil bis zum Hafen, wo der Schrein abgestellt wurde. Der Priester sprach ein paar Gebete und versprengte Weihwasser, während sich die Akrobaten im Schatten etwas erholten. Denn sie mussten gleich wieder ran und in der schon recht heißen Vormittagssonne das ganze Programm mit den Tänzen noch einmal aufführen, dieses Mal sogar zeitweise mit vier Türmen nebeneinander.

Hier aus nächster Nähe betrachtet wirken die Darbietungen noch spektakulärer. Wir bewundern die akkuraten Bewegungen der Jungen, die sich da oben in luftiger Höhe fast schon synchron bewegen, staunen über die Kraft der Männer und ihre Konzentration, die keine Sekunde nachlassen durfte, um jede kleinste Schwankung aufzufangen.

Eine Zuschauerin, die gut Englisch sprach, erklärte mir, dass sich im Schrein die Schutzgöttin des Stadtviertels befände. Einmal im Jahr würde der Schrein durch den Ort geführt, um der Gottheit zu zeigen, wie gut es den Menschen hier ginge. Die zeremoniellen Tänze stellten alle eine Ehrbezeugung für die Göttin dar.

Zuletzt, so erzählte sie mir, würde der Schrein aufs Wasser hinaus gefahren werden. Diese Fischerboote sind miteinander verbunden und tragen gemeinsam eine Art Plattform. Darauf sollen noch einmal die zeremoniellen Tänze präsentiert werden. Leider konnten wir nicht so lange bleiben, um zu sehen, ob sie diese akrobatischen Nummern tatsächlich in vollem Umfang auch auf dem Wasser ausprobiert haben.

Takamatsu

25. – 30. April 2024

Wir ziehen weiter in der Seto Inlandsee nach Takamatsu, eine der größten Städte der Großinsel Shikoku. Für die Muktuk ist es wieder schwierig, einen geeigneten Platz zu finden, die Yachthäfen sind viel zu eng und zu klein. So ankern wir etwas außerhalb in diesem geschützten Hafenbecken und fahren jeden Tag mit dem Dinghi an Land. Am Bahnhof von Takamatsu kann man Fahrräder ausleihen, mit denen wir sehr bequem die Stadt erkunden können.

Im Zentrum von Takamatsu befindet sich eine kleine Burg, die 1588 erbaut wurde. In den folgenden Jahrhunderten wurde ein Wassergraben um die Burg gebaut, der mit Meereswasser gefüllt wird.

Zur Burg gehört ein wunderschöner kleiner Park, in dem gerade die Azaleen in voller Blüte stehen.

Auf der Fahrt durch die Stadt entdecken wir in einer kleinen Seitenstraße lustige Figuren aus Pappmaschee, die dieser nette Herr gebaut und aufgestellt hat. Sie haben alle bewegliche Arme oder Köpfe, deren Funktion wir nach und nach vorgeführt bekommen.

Gerade läuft eine Ausstellung über die traditionelle Lackkunst der Provinz Kagawa. Wie sich herausstellt, befindet sie sich im Erdgeschoss des dazu gehörenden Institutes, in dem dieses einzigartige Handwerk gelehrt wird. Wir werden ganz herzlich von einem älteren Herrn begrüßt, der  – wie sich herausstellt – der frühere Direktor der Schule ist und uns eine ganz persönliche Führung anbietet. Zuerst bittet er uns in die oberen Räume, wo wir den Studenten zusehen dürfen, wie sie die vielen Lackschichten auftragen und wie sie diese speziellen Muster herausschnitzen.

In einem anderen Stockwerk sitzen gerade einige Studentinnen mit ihrer Professorin zusammen, die sich mit der Kunst des Kintsugi beschäftigen. Auch hierfür braucht man den Urushi-Lack, der anschließend mit Goldpuder bestäubt wird, wodurch die typische rot-goldene Farbe entsteht.

Nachdem wir sehr viel über die Herstellung der Lackkunst erklärt und gezeigt bekommen haben, schauen wir uns die kleine Ausstellung nun mit ganz anderen Augen an.

Das Sanuki Spielzeugmuseum von Takamatsu lädt zum Mitmachen ein. Hier dürfen auch wir als Erwachsene rein und die überwiegend aus Holz gefertigten Spielsachen ausprobieren. Wir sehen ein paar traditionelle alte und viele neue Spielsachen. Eine Schulklasse hat für diese Vormittag einen Ausflug ins Museum geplant und bevor sich die Kinder auf die einzelnen Spielstationen verteilen, stellen sie sich zu diesem Gruppenbild auf.

In einem Laden mit Kunsthandwerk aus der Region entdecken wir eine Installation aus von der Decke herunter hängenden Rollen der beliebten japanischen Washi-Klebebänder.

Ritsurin Park

Die wohl bekannteste Sehenswürdigkeit von Takamatsu ist der Ritsurin koen, der 1745 als privater Garten für die örtlichen Adeligen in der heutigen Form fertig gestellt wurde. Erst seit 1875 ist er auch für die allgemeine Öffentlichkeit zugänglich.

In diesem weitläufigen Park kann man getrost einen ganzen Tag zubringen, bis man alle Ecken erkundet hat, alle Wege abgelaufen ist, die Ausstellungen in einer der Villen des Parks angeschaut und sich zwischendurch ein paar Momente der Ruhe in einem der beiden Teehäuser gegönnt hat.

Hier ein paar Impressionen:

 

Kunst und Meer – Naoshima und Teshima

19. – 21. April und 02. – 05. Mai 2024

Kunstmuseen auf einsamen Inseln zu eröffnen, wie sollte das gehen? Dass dieses Konzept tatsächlich funktioniert, und inzwischen viele Touristen aus Japan und der ganzen Welt mit Fähren hierher kommen, davon hatten wir bereits berichtet, als wir vor fünf Jahren in Japan waren.

Im östlichen Teil der Seto Inlandsee hat die Benesse Stiftung auf den Inseln Naoshima, Teshima und Inujima ein Museum nach dem anderen eröffnet, um Kunst des 20. und 21. Jahrhunderts auszustellen. Auch sind in den Ortschaften der Inseln traditionelle Holzhäuser zu sogenannten „art houses“ (Kunsthäusern) umgebaut worden. Dafür konnte die Stiftung bekannte Architekten gewinnen, u.a. Tadao Ando sowie internationale und japanische Künstler und Künstlerinnen, die eigens für diese Inseln Kunstwerke und Installationen schufen.

Naoshima ist die größte der drei Inseln und auch die, auf der sich die meisten Museen befinden. Wir ankern in einer ruhigen Ecke des Hafenbeckens in sicherer Entfernung zum Fährterminal und freuen uns auf zwei Tage voller Kunst.

Diese großen bunten Kürbisse der japanische Künstlerin Yayoi Kusama sind eine der Hauptattraktionen hier auf der Insel.

Der gelbe Kürbis wurde, so lesen wir später, im Jahr 2021 während eines Taifuns vom Steg gefegt und stark beschädigt. Unter der Aufsicht der Künstlerin wurde er restauriert und ein Jahr später wieder an seinen prominenten Platz am Ufer aufgestellt. Nun ist er allerdings mit einem schweren Sockel im Inneren gesichert.

Wir entdecken ein neues Museum, eher eine großangelegte Installation. Die Silberkugeln, die auf dem Teich schwimmen und sich je nach Windrichtung in unterschiedlichen Konstellationen zusammenfinden, sind eine Idee der Künstlerin Yayoi Kusama. Auf der Wiese neben dem See liegen noch mehr Kugeln. Ein paar Schritte weiter ins Tal hinein steht ein Gebäude, von Tadao Ando entworfen, mit teils fensterlosen, teils nach oben offenen Räumen, in denen ebenfalls diese silbernen Kugeln angeordnet sind.

Vielleicht können wir im Frühjahr 2025 wieder kommen, denn dann findet die nächste Setouchi Art Triennale statt und es werden bestimmt wieder ein paar neue interessante Sachen zu sehen sein.

Teshima Art Museum

Ein paar Meilen weiter östlich, gleich auf der Nachbarinsel Teshima befindet sich ein ganz besonderes Museum, das wir sehr gerne noch einmal besuchen möchten. Und auch wenn wir vor gut vier Jahren schon einmal davon erzählt haben, möchte ich es hier und heute noch einmal kurz beschreiben. Denn dieses Museum sollte man bei einem Besuch in Japan – wenn möglich – nicht verpassen!

Die Künstlerin Rei Naito und der Architekt Ryue Nishizawa haben gemeinsam ein großartiges Kunstwerk erschaffen.
Das Teshima Art Museum ist eigentlich ein Gebäude für eine einzigartige Kunstinstallation. Das Gebäude selbst korrespondiert in seiner Form eines flachen Wassertropfens mit der Idee des Kunstwerkes, den Weg von Wassertropfen nachzuverfolgen, die aus mehreren kleinen Öffnungen im Boden in unregelmäßigen Abständen herauskommen und sich in zufälligen Konstellationen auf dem glatten Beton zu größeren Tropfen zusammenfinden, kleinere Rinnsale bilden und in Mini-Teichen enden. Leider darf man im Inneren nicht fotografieren, aber auf der Webseite des Museums sind ein paar Fotos zu sehen.

Wir suchen uns einen sonnigen Tag für unseren Besuch aus und sind wieder ganz fasziniert von diesem Gebäude und den quicklebendigen Wassertropfen in ihren immer neuen Formationen. Alle, die in diesen großen Raum eintreten (nur mit Socken, die Schuhe bleiben draußen), werden gebeten, möglichst still zu sein, denn die runde Kupppel wirkt wie ein Verstärker. Auch Kinder mit ihren Eltern flüstern und können doch ab und zu einen fröhlichen oder erstaunten Ausruf nicht ganz unterdrücken. Das stört überhaupt nicht, im Gegenteil.

Das Museumscafé und der Museumsshop sind in einem kleineren Gebäude nebenan untergebracht, auch in der gleichen Form einer Linse oder eines plattgedrückten Wassertropfens erbaut. Auf der Wiese davor stehen kleine Tische wo man bei gutem Wetter sitzen und die großartige Aussicht aufs Meer und die benachbarten Reisterrassen genießen kann.

Poesie im Regen – das “Old Folk House” auf der Insel Iwagi

April 2024

Leere Häuser gibt es viele im ländlichen Raum, die Bevölkerung Japans nimmt stark ab und konzentriert sich in den großen Städten. In der Regel werden die Familienhäuser nicht so schnell aufgegeben, oft reichen ein bis zwei Besuche jährlich zu den hohen Feiertagen, um sie weiter instand zu halten. Manchmal aber müssen die Familien die Häuser ihrer Vorfahren doch aufgeben, wenn sie im Unterhalt zu aufwendig und zu teuer geworden sind.

Wenn es sich dabei um besonders schöne oder historisch bedeutende Anwesen handelt, springt die Gemeinde ein, um es nicht verfallen zu lassen. Sofe sie es sich finanziell leisten kann.

Auf der Insel Iwagi, so hören wir, soll es ein solches Haus geben, das früher einer wohlhabenden und angesehenen Familie gehörte und das inzwischen zu einem Heimatmuseum umgewidmet worden sei. Es sei jeden Tag geöffnet, man könne einfach hinein gehen und sich umsehen. Vor dem Verlassen solle man nur die Lampen wieder ausschalten und die Schiebetüren schließen.

Am Toreingang hängt ein einfacher weißer Noren, wir schieben den Vorhang leicht zur Seite und bücken uns etwas, um in den schmalen Vorhof zu gelangen.

Während wir unsere Schuhe ausziehen, fällt unser Blick auf den kleinen Brunnen, der sich neben der Eingangstreppe befindet.

Wir betreten das Haus und sehen uns in den für japanische Häuser großzügig geschnittenen Räumen um, Wohnen und Repräsentieren in Einem.
Hier sind neben dem Familienschrein viele wertvolle und schöne Sachen ausgestellt, Kleidung, Möbel, Bilder und Gedichte eines bekannten Dichters, der hier ein paar Tage die Ruhe der Insel genießen durfte.

Auch eine Sammlung von besonders schönen und wertvollen Hina-Puppen ist hier ausgestellt. In privaten Haushalten, in denen Mädchen aufwachsen, werden traditionell im Frühjahr nur für einen begrenzten Zeitraum diese Puppen aufgestellt.

Diese Puppe wiederum stellt die Prinzessin aus einer japanischen Sage dar, die die Rüstung ihres Vaters in den Händen hält:

Öffnet man die Schiebetüren des letzten großen Raumes des Haupthauses blickt man auf einen wunderschönen japanischen Garten. Wieder einmal bewundern wir, wie scheinbar mühelos die Sträucher, Bäume und Steine zu einem harmonischen Gesamtkunstwerk zusammengestellt wurden.

Zwei Mal besuchen wir dieses Haus. Einmal an einem regnerischen Tag, an dem die Wolken grau und tief über dem Dorf hängen und im Garten die Regentropfen wie zarte Edelsteine in den Kiefernzweigen hängen.

Das nächste Mal sind wir mit zwei japanischen Freunden da, die wir vor fünf Jahren auf der Internationalen Rally in der Seto Inlandsee kennengerlernt hatten.

Auch sie sind begeistert von dem Haus und genießen die Ruhe des Gartens.

Euklidische Risiken

Naturkatastrophen gehören in Japan zum Alltag. Erdbeben, Tsunamis und Taifune sind keine Seltenheit. Die Warn-App auf unseren Handys weckt uns regelmäßig mit Meldungen über Erdrutsche nach starken Regenfällen oder der Gefahr von Hitzschlag. Auf der anderen Seite gibt es außer Wildschweinen keine gefährlichen Wildtiere, Schlangen oder Skorpione.

Kaum bekannt aber ist die Gefahr, die hierzulande von bestimmten geometrischen Figuren ausgeht. Es sind vor allem die spitzwinkligen Dreiecke, die tückisch am Wegrand lauern und nichtsahnende Spaziergänger mit Steinen bewerfen. Kreise oder Quadrate können hingegen als praktisch ungefährlich gelten.

Von etlichen Schildern gewarnt, sind wir jetzt jedenfalls auf der Hut und passen auf, dass uns nicht einer dieser Wegelagerer überrascht. Ob man spitzwinklige Dreiecke wohl – ähnlich wie die Bären in Alaska – mit lauten Gesängen vertreiben kann? Ob unser Pfefferspray auch gegen Dreiecke hilft? Auf der Spraydose haben wir keinen Hinweis gefunden, und der praktische Test steht noch aus.

Gerade als Segler sind wir natürlich besorgt. Jahrelang haben wir spitzwinklige Dreiecke zur Fortbewegung genutzt, und nie sind wir mit irgendetwas (außer Salzwasser) beworfen worden. Aber vielleicht sollten wir sicherheitshalber doch zu Rechtecken als Antrieb zurückkehren. Wussten die alten Rahsegler vielleicht mehr als wir?

 

Die Kirschblüte in Japan 2024

Ende März bis Mitte April 2024

Die Zeit der Kirschblüte, Sakura, ist seit Jahrhunderten fester Bestandteil der japanischen Kultur. Im Frühling gehört es zur normalen Wettervorhersage auch über den aktuellen Stand der Kirschblüte zu berichten. Der nationale japanische Wetterdienst hat mittlerweile sogar eine App rund um die Kirschblüte entwickelt. Hier kann man sich – nach Regionen sortiert – über den voraussichtlichen und aktuellen Stand der Blüten informieren. Zusätzlich bieten die App und auch die Webseite eine Liste der schönsten Parks an, wo man Hanami, das Kirschblütenfest, feiern kann. So ist es ein Leichtes für uns, während unserer Fahrt durch die Seto Inlandsee einige dieser Parks anzusteuern.

Die ersten Blüten in Okayama

Für die Gegend um Okayama wird der Beginn der Kirschblüte auf Ende März festgelegt. Alles ist vorbereitet: die Verkaufsbuden für Essen und Souvenirs stehen schon und der Übertragungswagen der örtlichen Fernsehstation ist auch schon da, um die ersten Blüten zu filmen. Im berühmten Korakuen Park neben der Burg sehen die Bäume aber noch sehr kahl aus, ein Kamerateam hat sich unter einem Baum aufgestellt und sucht in den Zweigen nach der allerersten Blüte. Auch am Flussufer, wo auf beiden Seiten große alte Kirschbäume stehen, sind nur vereinzelt ein paar wagemutige Blüten zu sehen, an besonders sonnigen und windgeschützten Stellen allerdings sind schon ganze Zweige aufgeblüht!

Blütenmeer auf der Insel Iwagi

Eine gute Woche später sind wir mit Freunden unterwegs und fahren zur Insel Iwagi, wo wir die Muktuk an einem Schwimmsteg parken können. Nicht weit vom Hafen entfernt befindet sich ein Tempel, in dessen Hof ein paar alte Kirschbäume stehen, deren ausladende Äste mit dicken Pflöcken abgestützt werden müssen.

In der Mitte der Insel erhebt sich der Berg Sekizen auf etwa 360 Meter über dem Meeresspiegel. Während des Zweiten Weltkrieges wurden sämtliche Kiefern der Insel gefällt, das Kiefernöl war damals eine begehrte Alternative zum knapp gewordenen Erdöl. In der Nachkriegszeit begannen die Inselbewohner mit einer Aufforstung der besonderen Art: sie pflanzten Kirschbäume auf die kahlen Hänge. Inzwischen hat sich der Brauch eingebürgert, dass Kinder zu ihrer Einschulung und alle, die ihren 60. Geburtstag feiern, einen Kirschbaum pflanzen.

Mittlerweile sind es um die 4.000 Kirschbäume, die im Frühling zu unterschiedlichen Zeiten mit ihrer Blüte beginnen. Knapp vierhundert Meter machen keinen großen Unterschied aus, könnte man meinen. Für die Kirschblüte aber schon: unten am Fuß des Berges ist die Blüte bereits in vollem Gange, während oben am Gipfel noch sehr viele rosa Knospen zu sehen sind. So kann man während der Wanderung zum Berggipfel alle Stadien der Kirschblüte genießen.


Besonders schön ist hier der Kontrast zwischen den weißen bis blassrosa Kirschblüten und den gerade aufblühenden Azaleen.


Blick von oben auf die umliegenden Inseln.

Muktuk am Steg in Iwagi

Kirschblüte in Onomichi

Onomichi ist bekannt für seine vielen Tempel, die sich inmitten eines Wohngebietes mit alten traditionellen Häusern befinden. Zusammen bilden sie ein verwirrendes Labyrinth von kleinen und kleinsten Gässchen, die an manchen Stellen so eng sind, dass man selbst mit den schmalen japanischen Autos nicht mehr durchkommt. Oberhalb dieses Stadtteils ist bis zur Spitze des Berges ein weitläufiger Park angelegt worden, wo im Frühling viele hundert Kirschbäume blühen. Wir fahren mit der Drahtseilbahn hoch und können unterwegs einige Tempel aus der Vogelperspektive betrachten.

Die Kirschbäume im Park sind inzwischen alle voll aufgeblüht und mit jedem Windstoß wirbeln Blütenblätter durch die Luft. Als Andreas mich unter einem Baum stehend fotografieren will, kommen zwei ältere Herren dazu und schütteln die Äste über meinem Kopf, so dass ich in einem Blütenregen stehe. Sie freuen sich sichtlich darüber, uns Fremden zu diesem Fotomotiv der Vergänglichkeit zu verhelfen.

Wir können uns nicht satt sehen an dieser Blütenpracht und genießen die schöne entspannte Stimmung, in die sich eine leise Wehmut schleicht.

Die Wege zwischen den Bäumen sind inzwischen über und über mit Blütenblättern bedeckt, bald ist die Kirschblüte vorbei.

Bis nächstes Jahr, vielleicht!

Takehara und die Haseninsel Okunoshima

21. – 23. März 2024

Takehara, ein kleiner Ort an der Küste der Seto Inlandsee wird in Reiseberichten immer wieder mit dem Beinamen „Klein-Kyoto“ erwähnt. Früher war der Ort berühmt für seinen Handel mit Salz und ist es heute noch für seine Sake-Brauereien.

Im Zentrum der Stadt sind viele alte Holzhäuser aus der Edo-Zeit erhalten geblieben, drei komplette Straßenzüge lang. Gemeinsam bilden sie ein schönes Ensemble, das mit viel Liebe zum Detail erhalten und gepflegt wird. Jetzt in der Nebensaison sind nur ein paar japanische Touristen unterwegs und hier und da auch ein paar Ausländer.

Diese Kugel aus Reisig ist in ganz Japan ein Zeichen dafür, dass in diesem Haus Sake gebraut und verkauft wird.

An einem anderen Haus hängen diese geschnitzten Kunstwerke aus Bambus.

Leider haben wir es versäumt, eine Flasche von diesem mit Salz von der Seto Inlandsee gebrauten Bier zu kaufen, so können wir nicht sagen, ob es salzig oder doch malzig-süß schmeckt.

Von Takehara aus geht stündlich eine Fähre zur nahe gelegenen Haseninsel Okunoshima. So niedlich die freilaufenden Hasen sind, so grausam die Geschichte der Insel, denn bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges wurde hier Giftgas für das Kaiserliche Heer produziert. In den ehemaligen Räumen der Anlage ist heute ein Museum untergebracht, das über die verheerenden Folgen der Produktion berichtet.

Die Kaninchen sind Nachfahren der ehemaligen Versuchskaninchen (im buchstäblichen Sinne des Wortes) und haben die Insel inzwischen komplett übernommen. Sie sind sehr zutraulich und hoppeln ohne Angst auf Menschen zu, denn sie wissen, dass sie von ihnen großzügig mit Futter versorgt werden.

In dem großen Hotel, wo wir als Tagesgäste den Onsen mit Meeresblick nutzen dürfen, gibt es im Erdgeschoss ein Café, dessen Logo dem von Starbucks nachempfunden ist.

Nach diesem Zwischenstopp auf der Haseninsel tuckern wir weiter.

Shimokamagari

16. – 20. März 2024

Von Kami-Kamagari fahren wir nur ein kurzes Stück zur Nachbarinsel Shimokamagari, die mit dem Festland durch eine Brücke verbunden ist.

In der Edo-Zeit (1603-1868) war Shimokamagari eine wichtige Station für Reisende in der Seto Inlandsee. Wegen der starken Gezeitenströme mussten die Schiffe Pausen einlegen, gegen den Strom zu segeln ist mühsam und teils nicht möglich.

Für diese meist adeligen Reisenden und ihr Gefolge standen herrschaftliche Unterkünfte bereit. Einige von ihnen sind erhalten geblieben und zu Museen umgestaltet worden. Insgesamt fünf Museen befinden sich auf der Insel! Japanische Geschichte, Kunst und Kultur können hier auf engstem Raum besichtigt werden.

Das Shotoen Museum liegt direkt am Ufer der Meerenge zwischen den beiden Inseln, umgeben von einem japanischen Zen-Garten mit Steinskulpturen.

Das Museum besteht aus mehreren historischen Gebäuden, in denen unterschiedliche Sammlungen aufbewahrt und gezeigt werden, unter anderem ein Keramikmuseum mit wertvollen alten Keramiken aus ganz Japan sowie einem Lampenmuseum, das von antiken Terracotta-Leuchten bis zu japanischen Papierlaternen seltene Fundstücke aus mehreren Jahrhunderten ausstellt.

Am spannendsten für mich ist die ehemalige Banketthalle, in der Exponate über die Geschichte der Koreanischen Gesandten gezeigt werden. Diese Gesandten reisten während der Edo-Zeit in diplomatischen Missionen mehrmals nach Japan und wurden auf ihrer Zwischenstation in Shimokamagari mit großen Ehren empfangen. Die koreanische Delegation bestand meist aus 1.000 Menschen, die sich auf 6 Schiffe verteilten. Es heißt, dass viele Helfer, aber auch Schaulustige auf die Insel kamen, um die koreanischen Gästen zu empfangen – so viele, dass die Insel zu sinken drohe.

Die koreanischen Schiffe wurden von hier aus mit japanischen Ruderbooten weiter durch die Seto Inlandsee befördert. Diese lange Schriftrolle ist ein ganz besonderes Zeugnis aus jener Zeit: hier hat ein unbekannter Zeichner alle Schiffe und Boote festgehalten, die im Jahr 1748 mit der 10. Diplomatischen Mission aus Korea unterwegs waren. Diese Rolle und eine weitere, die die Gespräche der Gesandten mit ihren japanischen Gastgebern protokolliert, sind inzwischen zum UNESCO-Weltkulturerbe erklärt worden.

Im ehemaligen Banketthaus sind die Empfangszeremonien und Umzüge in Miniatur-Szenen nachgestellt, an den Wänden hängen Zeichnungen von Mitwirkenden, sogar die Speisen, die für die Gäste aufgetragen wurden, sind täuschend echt in Plastik nachgebildet.

Das Rantokako Kunstmuseum und das Sannose Museum für Kunst und Kultur zeigen Malerei und Kunsthandwerk japanischer Künstler des 19. und 20. Jahrhunderts.

Diese große Treppe vor dem Eingang des Sannose Museums stammt noch aus der Edo-Zeit. Die Schiffe konnten an die Treppe heran fahren und die Passagiere meist trockenen Fußes an Land gelangen.

Ein kleiner Fußweg führt am Kunstmuseum den Berg hoch, wo sich ein historisches Teehaus aus dem 18. Jahrhundert befindet. Früher stand es in Kyoto und wurde erst in den 1990er Jahren dort abgebaut, hierher transportiert und neu aufgestellt. Dieses Teehaus weist eine Besonderheit auf: es besitzt ein weiteres Stockwerk als Aufbau, in dem im 19. Jahrhundert chinesische Schriftrollen studiert wurden. Die Deckenbalken sind über und über mit Schriftzeichen bedeckt.

Als letztes besuchen wir das Insekten-Museum. In Schaukästen werden hier Schmetterlinge, Motten, Käfer und Libellen der Provinz Hiroshima gezeigt, aber auch ein paar seltene Schmetterlinge aus Südamerika. Dazu gibt es Ausstellungstücke aus dem Bereich der Kunst und des Kunsthandwerkes, auf denen Insekten dargestellt sind. Die Sammlung ist in einem schön renovierten japanischen Haus im Sukiya-Stil untergebracht. Wir sind immer wieder beeindruckt von der Harmonie und den kunstvollen Details dieser Art von traditionellen Häusern.

Für den Sonntag ist ein kleines Fest geplant zur offiziellen Einweihung eines Graffiti, das auf eine hohe Mauer am Ufer gemalt wurde. „Here it is“ steht drauf.

Es ist kühl und der Nieselregen hüllt alles in ein trübes Grau, trotzdem sind viele Leute gekommen – von Familien mit kleinen Kindern bis zu fröhlichen alten Damen sind alle Generationen vertreten. Es gibt Essenstände, frisches Obst und auf der improvisierten Bühne treten im Halbstundentakt Musikgruppen auf.

Am spannendsten für die Kinder ist eine Aufführung mit dem japanischen Holzspielzeug namens Kendama, für das man viel Übung und Geschick braucht. Zwei Männer zeigen, wie sie flink die Kugel hin und her balancieren und hüpfen lassen und laden auch Kinder aus dem Publikum auf die Bühne ein, die stolz vorführen, welche Kunststücke sie drauf haben.

Dann holen die beiden Männer ihre erweiterten Kendamas hervor, mit fünf und mehr Kugeln, die alle gleichzeitig mit einem Hops auf die Schalen befördert werden sollen. Nach einigen missglückten Anläufen, die die Spannung deutlich erhöhen, gelingt dem jungen Mann das finale Kunststück.

Der Frühling setzt sich langsam durch! Auf einem Spaziergang über die Insel entdecken wir viele blühende Mimosenbäume.