Eine Welt für sich

Die Lebensweise in den abgelegenen Dörfern und abgeschiedenen Inseln Vanuatus kann man sich als Europäer nur schwer vorstellen. Ein wenig hat die Moderne schon Einzug gehalten, auf den Bambushütten findet man manchmal Solarpaneele, die Baströckchen werden nur noch zu besonderen Anlässen angelegt und sind im Alltag normalen T-Shirts gewichen, aber vieles der alten Kultur und Tradition ist noch erhalten geblieben.

Father Levy aus der Lakona Bay hält morgens den Gottesdienst im vollen Ornat des anglikanischen Priesters, später sieht man ihn in Hemd und kurzer Hose, und am Nachmittag bringt er im Baströckchen bekleidet den Jungs des Dorfes Bogenschießen bei. Er sieht das nicht als Widerspruch, ganz im Gegenteil: „Wir stehen hier in Vanuatu auf drei Beinen – der Kirche, der Moderne und dem ‚Kastom‘ (der traditionellen Lebensweise)“. Eine beachtliche Entwicklung, wenn man bedenkt, dass sich noch vor weniger als hundert Jahren die Nachbardörfer und -stämme gegenseitig bekriegt und nicht selten aufgegessen haben.

Stammesangelegenheiten werden auch heute noch im traditionellen Versammlungshaus, dem Nakamal besprochen, zu dem Frauen oft keinen Zutritt haben. Zwei Steinfiguren vor dem Nakamal der Lakona Bay zeigen dies drastisch, denn die Frauenfigur ist tot (erkennbar an der heraushängenden Zunge), erschlagen vom alten Häuptling, weil sie das Nakamal betreten wollte. Im Inneren ist ein Bereich abgegrenzt, der nur vom Chief selbst betreten werden darf. Ein Eckstein im Inneren ist der „Wächter“, er sorgt für die Einhaltung der Regeln, auch wenn der Chief gerade nicht selbst aufpassen kann. Er ist – so sagt man uns – auch dafür zuständig, Hühner oder Schweine zu töten, die sich aus Versehen ins Nakamal hinein verirren. Der alte Chief des Dorfs zeigt uns einen weiteren Stein, sein „Radio“: der ist dafür zuständig, den Chief von besonderen Vorkommnissen im Dorf zu unterrichten, wenn er gerade im Nachbardorf oder auf einer anderen Insel unterwegs ist. Er erzählt uns völlig ernsthaft von Beispielen, bei denen er vom seinem Stein unterrichtet wurde und bei seiner Rückkehr schon Bescheid wusste, dass z.B. sein Neffe beim Tauchen ertrunken war.

Geld spielt eine untergeordnete Rolle im Leben der Dorfbewohner. Essen und Wohnen ist umsonst, das dafür nötige wächst in der Gegend. Für wichtige Ereignisse im Leben (Hochzeit, Erbschaft, neuer Chief etc.) muss man rechtzeitig vorsorgen, denn dazu müssen traditionell Schweine geschlachtet werden, und die muss man Jahre zuvor anfüttern. Während Hühner und im Wald erlegte Wildschweine normales Nahrungsmittel sind, werden die im Dorf gehaltenen Schweine ausschließlich zu zeremoniellen Anlässen geschlachtet.

Geld braucht man hauptsächlich für die Schulbildung der Kinder, verdient wird es durch Verkauf von Kopra, Kakao oder anderer Gartenfrüchte. In den Küstendörfern sind Segelboote mittlerweile regelmäßige Tauschpartner für die Dorfökonomie und gern gesehene Quelle für Kleidung oder Angelzubehör.

Auf Ureparapara, der letzten Insel die wir anlaufen, sind wir schon bei unserer Ankunft von einem Dutzend Kanus umringt. Man zeigt uns den besten Ankerplatz, der Chief stellt sich vor, und am nächsten Tag werden wir mit dem großen Kanu zur Dorfbesichtigung abgeholt. Dass wir eine unserer ausgemusterten großen Bordbatterien als Gastgeschenk mitbringen, sorgt für große Freude.

Ureparapara hat es zur Zeit besonders schwer. Das Versorgungsboot, das normalerweise einmal im Monat kommt, ist seit geraumer Zeit in der Werft zur Reparatur. Wann es das nächste Mal kommt, weiß niemand. Da sind die paar Segler, die sich hierher verirren, natürlich sehr willkommen. Nicht unbedingt für „Luxusgüter“ wie Mehl oder Reis, denn dafür gibt es ja auf der Insel genügend Alternativen. Dringend gebraucht werden dagegen Streichhölzer, Seife und Batterien für die Taschenlampen. Gerne teilen wir unsere Bordbestände und segeln am nächsten Morgen weiter. Weg von Vanuatu, das uns so unerwartet stark ans Herz gewachsen ist.