Die Insel Okinoerabu

11. – 13. April 2023

Von Okinawa los zu kommen, ist nicht einfach. Nicht nur der vielen Bande wegen, die wir hier in so kurzer Zeit geknüpft haben, auch weil der Wind meist aus Nord weht und genau nach Norden zum Japanischen Hauptland wollen wir. Wind zum Hochsegeln gibt es immer nur für höchstens 2-3 Tage. Zwischen Okinawa und Kyushu liegen wie auf einer Schnur aufgereiht viele schöne Inseln, da können wir zwischendurch Pause machen, denn in einem Rutsch werden wir diese Strecke nicht schaffen können.
Endlich ist ein Wetterfenster da, das einigermaßen moderaten Wind aus der richtigen Richtung und wenig Welle verspricht. Aber kaum sind wir aus der großen Bucht draußen, müssen wir feststellen, dass der Wind eine viel stärkere Nordkomponente hat als vorhergesagt, wir kommen die ersten zwanzig Meilen sehr langsam voran und können nur mit Unterstützung des Motors hoch am Wind segeln.
Am nächsten Tag lässt der Wind schon wieder nach, so dass wir beschließen, nicht weiter zu fahren, sondern bereits auf der Insel Okinoerabu einen Stopp einzulegen und dort auf das nächste Wetterfenster zu warten.
Im Süden der Insel befindet sich das Dörfchen namens China, wo wir im Fischereihafen anlegen. Es ist erst mittags, also viel Zeit, um heute schon einmal den Ort zu erkunden. Gleich gegenüber am Hafen liegt ein großes Hotel, wo wir uns mit Informationsmaterial über die Insel eindecken und erfahren, dass gleich nebenan ein öffentliche Bad sei. Wunderbar, das erste „Sento“, seitdem wir in Japan angekommen sind.

Frisch geschrubbt und gebadet gehen wir am Abend noch einmal los und entscheiden uns für ein kleines Fischlokal, das von außen ganz unscheinbar daher kommt. Innen sieht es sehr gemütlich aus, ein kleiner Raum mit drei, vier Tischen und einer kleinen Theke, dahinter die Küche. Es gibt keine Speisekarte (schon einmal gut für uns, denn lesen könnten wir sie sowieso nicht). Man isst, was sich der Koch für den Abend ausgedacht hat, nämlich eine Folge von Gerichten, die nacheinander für alle Gäste zubereitet werden: eingelegter Tofu, Sashimi, Schnecken, eine Suppe mit gekochtem Fisch in einer köstlichen Brühe mit Daikon-Rettich und Lauch, frittierte Kartoffelbällchen mit Pilzen, eine zweite Suppe mit Tofu, Gemüse und Hühnchen… wir zählen mit, es sind insgesamt 10 Gänge! Jedes einzelne Gericht ist eine Überraschung und schmeckt hervorragend. Wir dürfen an der Theke sitzen und können dem Koch zusehen, wie er die Gerichte vorbereitet, was sehr spannend ist. Er beobachtet unsere Reaktionen und freut sich sichtlich, dass wir sein Essen so genießen. Mir scheint, dass er uns immer etwas mehr als den anderen Gästen in die Schalen füllt.

Zwischen den Gängen unterhalten wir uns mit seiner Frau, die ein bisschen Englisch spricht und nachdem er mit dem Kochen fertig ist, setzt auch er sich noch ein bisschen zu uns. Wir erfahren, dass er viele Jahre lang in Tokio auf dem berühmten Fischmarkt gearbeitet hat und sie früher Krankenschwester war. Seit ungefähr 13 Jahren lebt er auf der Insel, zunächst als Farmer und seit sieben Jahren betreiben sie nun gemeinsam das Restaurant. Sie packen uns jeweils ein großes Stück von dem geräucherten Thunfisch und Tintenfisch ein, die uns so gut geschmeckt haben und geben uns noch eine Tüte mit frischen Kartoffeln mit, für die die Insel so berühmt ist. (Und die wirklich gut sind, schmackhaft und mehlig, genau wie wir sie gerne essen!)

Als Dankeschön und auch weil wir gerne in Ruhe etwas mehr Zeit mit ihnen verbringen möchten, laden wir sie für den nächsten Tag zum Frühstück auf die Muktuk ein. Yuhiko und Kumihiko fühlen sich sehr wohl auf Okinoerabu, erzählen sie uns, während Andreas Waffeln backt. Sie bereuen es nicht, aus der Großstadt Tokio hierher gezogen zu sein. Beide sind gute Sportler, Läufer, und haben letztes Jahr das erste Marathon auf der Insel organisiert, genauer gesagt: ein Ultramarathon. Dieses Jahr im November soll es das zweite Mal stattfinden.
Kunihiko fragt, was wir heute noch vorhaben, er möchte, dass wir unbedingt Freunde von ihm besuchen. Wir wollen eine Wanderung machen, vielleicht bis zum Observatorium. Das Haus der Freunde liegt auf dem Weg, und Kunihiko ruft sofort bei ihnen an, um uns anzukündigen.
Noch ein gemeinsames Foto vor der Muktuk mit den beiden und eine herzliche Verabschiedung, dann ziehen wir los.


Die Hand soll den Umriss von Okinoerabu symbolisieren

Hinter dem Dorf wird es richtig grün. Die wilden Mandarinen am Straßenrand leuchten so schön in der Sonne. Sie sind innen etwas klein und haben viele Kerne, schmecken aber sehr gut.

Die Kartoffelernte ist in vollem Gange, viele Felder sind bereits abgeerntet und dürfen bis zum Herbst ruhen bzw. werden mit Pflanzen bestückt, die ein bisschen Dünger in die Erde bringen. Auf den ersten Blick wirkte die Erde sehr fruchtbar, was sie aber gar nicht ist, wie wir später erfahren. Zuckerrohr und Kartoffeln kommen allerdings mit dieser Erde gut zurecht.

Wir finden auf Anhieb das Haus von Prof. Emile Ishida und seiner Frau Ako. Sie bitten uns auf einen Tee herein. Emile war Mineraloge, seit seiner Emeritierung betreut er weiterhin viele spannende Projekte an der Schnittstelle zwischen Umweltschutz und Technologie, u.a. auch auf dieser Insel. Seine Frau spricht fließend mehrere Fremdsprachen und hat früher als Übersetzerin im Bereich Keramik gearbeitet. Wir erzählen ihnen, dass wir fasziniert sind von japanischer Keramik, worauf sie uns den Ausstellungskatalog eines bekannten Keramikers zeigen und ein paar besonders schöne Keramiken aus ihrer Sammlung. Zudem nennen sie uns einige berühmte Keramik-Ortschaften, die wir unbedingt besichtigen sollten.

Von den vielen Inseln zwischen Okinawa und Kyushu hat ihnen Okinoerabu auf Anhieb gefallen, so dass sie beschlossen, sich hier niederzulassen. Hier haben sie ein großes Grundstück gekauft, mitten im Grünen, und mit Hilfe eines Architekten ein wunderbares Haus entworfen. Wir würden gerne noch länger mit ihnen reden und sie auch auf die Muktuk einladen, aber sie müssen für einige Tage verreisen und noch einiges vorbereiten, und so verabschieden wir uns von ihnen, reich beschenkt mit spannenden Gesprächen und mit einem Buch von Prof. Emile sowie einer Flasche italienischem Rotwein aus seinem selbst gebauten Weinkeller (trotz unserer Proteste und Versicherungen, dass wir im Sommer ein paar Tage in Italien verbringen wollen.)

Wir wandern weiter und finden nach einigem Suchen unser Ziel: den Aussichtssturm, von wo aus wir einen beeindruckenden Rundblick auf die Weiten der Insel haben.

Gegen Abend kommt eine Freundin von Yukiko mit ihren beiden Töchtern, sieben und drei Jahre alt, vorbei und bringt uns eine Tüte voll mit Kartoffeln von ihren Feldern. Sie und ihr Mann sind Farmer und bauen Biokartoffeln an, ganz ohne Pestizide. In den nächsten Tagen beginnen auch sie mit der Ernte, die Mädchen freuen sich schon darauf. Leider können wir ihnen das Schiff nicht zeigen, sehr zum Bedauern der ernsthaften Siebenjährigen: es ist gerade Niedrigwasser, der Abstand von der Kaimauer zum Deck der Muktuk beträgt ungefähr zwei Meter. Ohne Leiter ist es unmöglich, an Bord zu kommen.
Am Tag darauf wollen wir gleich nach dem Frühstück los, das nächste Wetterfenster ist da. Wie gerne würden wir noch länger auf dieser zauberhaften Insel bei diesen liebenswürdigen Menschen bleiben. Wer weiß, vielleicht würden wir dann auch ein Grundstück kaufen, ein Haus bauen und Kartoffeln züchten.